Nicolas Born, „Drei Wünsche“

Im Folgenden ein paar Anmerkungen und Anregungen zu diesem Gedicht.

Wie immer – lassen wir alle biografischen Informationen weg und konzentrieren uns nur auf den Text.

  1. Die Überschrift erinnert ein bisschen an Märchen.
  2. Dann gleich am Anfang die Feststellung, als Frage formuliert, ob Tatsachen nicht „quälend und langweilig“ sind. Hier schon mal unsere erste Kritik – beides zusammen passt nicht immer. Quälend kann eine Krankheit sein, langweilig eine Gesundheit ohne Ziele.
  3. Wichtiger dann die Alternative, nämlich die drei Wünsche des Titels – allerdings mit der Bedingung verbunden, „daß sie allen erfüllt werden“. Hier erwartet man eigentlich „alle“, denn warum sollen sie „allen“ (Menschen) erfüllt werden? Dann müssten entsprechende Gemeinschaftssignale noch mehr auftauchen.
  4. Es folgen die drei Wünsche:
    1. Zunächst „ein Leben ohne große Pausen“ – also in ständiger Betriebsamkeit, das passt zu „langweilig“ aus der ersten Zeile. Hinzu kommt noch eine nähere Bestimmung dieser als negativ empfundenen Unterbrechungen des Lebenslaufs. Es geht um Pausen, „in denen die Wände nach Projektilen abgesucht werden“. Das bleibt sehr dunkel. Projektive sind die Teile, die nach einem Schuss aus einem Gewehr oder einer Pistole übrig bleiben. Sollte das Lyrische Ich tatsächlich vor Langeweile im Haus rumballern?
    2. Es folgt die Bitte um ein Leben, „das nicht hinuntergeblättert wird von Kassierern“. Gemeint sind wohl Geldscheine, die man zurückbekommt – oder auch Karten, die man gekauft hat. Auf jeden Fall ist es ein sehr kaufmännisches Leben, in dem es um Geld geht.
    3. Nach diesem ersten Wunsch, in zwei Varianten präsentiert, wünscht sich das Lyrische Ich, „Briefe zu schreiben in denen ich ganz enthalten bin“. Offensichtlich möchte es sich selbst verstehen und mitteilen – damit hätten wir also doch wieder ein Signal in Richtung Gemeinschaft (vgl. Zeile 3).
    4. Schließlich der dritte Wunsch, „ein Buch, in das ihr alle vorn hineingehen und hinten herauskommen könnt“. Wieder ein Signal der Gemeinschaft, das Zeile 3 verständlicher macht. Ein Buch enthält in der Regel eine Geschichte oder Erfahrungen – und das Lyrische Ich möchte offensichtlich, dass sie alle gemeinsam da durchgehen.
  5. Am Ende dann ein Themenwechsel hin zu einer besonderen Beziehung. Es geht um die Liebe zu einer anderen, einzigartigen Person. Etwas sehr nüchtern formuliert: „daß es schöner ist dich zu lieben als dich nicht zu lieben“. Aber das kann man verzeihen, denn die Schönheit der Liebe kann man sowieso nicht beschreiben, man muss sie erleben. Das ist mehr wert als alle anderen Wünsche.
  6. Das Gedicht spielt mit Märchenanspielungen und wendet sich gegen die quälende Langeweile der Tatsachen, also der puren Wirklichkeit.
  7. Stattdessen möchte es, dass besondere Wünsche Wirklichkeit werden. Vor allem möchte es etwas Besonderes erleben und das möglichst mit anderen.
  8. Vor allem möchte das Lyrische Ich bei all den auch wichtigen Dingen das Wichtigste nicht vergessen, nämlich die Liebe – und darum endet dieses Gedicht auch recht schnell, weil Gedichte eigentlich nur etwas für die sind, die gerade nicht im Vollrausch der Liebe sich befinden. Denn dann schreibt man keine Gedichte.