Vergleich Eichendorff, „Das zerbrochene Ringlein“ und Werfel, „Blick-Begegnung“

Romantik und Expressionismus

Der Vergleich von Gedichten aus der Romantik mit solchen aus dem Expressionismus ist immer interessant. Denn es gibt erhebliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Epochen.

Die Romantiker greifen nach dem Höchsten, setzen dabei stark auf Gefühle. Letzteres gilt auch für die Expressionisten. Allerdings sind sie natürlich schon einige Jahrzehnte von dem glaubensseligen Idealismus um 1800 (und in den Ausläufern bis in die 50er Jahre des 19. Jhdts.) entfernt.

Aber es gibt ja auch die „Nachtseite“ der Romantik – und vom Grausigen ist es kein weiter Weg mehr bis zum Grässlichen.

Aber schauen wir uns das einfach mal an zwei Gedichten an.

Dazu gibt es auch ein Video, das man hier aufrufen kann:
https://youtu.be/D3Sa1sTweRQ

Die Dokumentation kann man hier herunterladen:

Mat1786 Wie findet man passende Gedichte zum Vergleich Romantik-Expressionismus

Eichendorff, „Das zerbrochene Ringlein“

Joseph von Eichendorff

Das zerbrochene Ringlein

In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
Mein Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.

  • Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung eines Verlustes, der mit einem ganz bestimmten Ort verbunden ist.

Sie hat mir Treu versprochen,
Gab mir ein’n Ring dabei,
Sie hat die Treu gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.

  • Die zweite Strophe bringt dann den maximalen Kontrast zwischen dem Versprechen der Treue und dem Bruch, verbunden mit dem Symbol des Rings, der auch zerstört ist.

Ich möcht als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus,
Und singen meine Weisen,
Und gehn von Haus zu Haus.

  • Was macht der Romantiker, wenn er in Not kommt: Er flieht hinaus und hofft dort als Spielmann wahrscheinlich, seine innere Not loszuwerden.
  • Interessant die Wiederaufnahme des Motivs der Wohnung, diesmal aber geht es nicht mehr um eine direkt oder indirekt eigene (der Liebsten), sondern um andere Menschen, von deren möglicherweise noch vorhandenem Glück man gewissermaßen nur ein bisschen was abbekommt.

Ich möcht als Reiter fliegen
Wohl in die blutge Schlacht,
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.

  • Einige Romantiker gehen dann noch einen Schritt weiter: Sie schreien oder zumindest singen ihre Qual nicht nur hinaus (man wird an das Wort von Goethes Tasso erinnert: „Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide„,
  • sondern suchen auch die existenzielle Herausforderung bis hin zur Gefahr des Todes.Hör ich das Mühlrad gehen:
    Ich weiß nicht, was ich will –
    Ich möcht am liebsten sterben,
    Da wärs auf einmal still!
  • Die letzte Strophe macht diesen Zusammenhang dann auch ganz deutlich,
  • wobei das Mühlrad die quälende Verbindung von Glück und Verlust immer wieder in Erinnerung ruft.

Franz Werfel, „Blick – Begegnung“

Franz Werfel

Blick – Begegnung

Ein Blick!
Ein Grüßen, Schmachten, Gleißen,
Ein Wiedersehn von Sternenzeiten her!
Die Straße strömt,
Das Schicksal ist bereit.
Ein rasches heißes Voneinanderreißen!
Matt rückgewandt ein: Noch, noch ist es Zeit!
Und jetzt: Nie mehr!

  • Der Titel gibt noch Hoffnung, indem er den Blick zumindest mit einer Begegnung verbindet, also eine Steigerung enthält.
  • Die nächsten Zeilen sind dann schon typisch expressionistisch: Es beginnt mit immer stärker werdenden Gefühlen, die sich dann ins Kosmische hineinsteigern.
  • Aus der Festigkeit der Normalität („Straße“) wird eine Art Fluss („strömt“), von dem man wohl mitgerissen wird.
  • Alles zusammengefasst im Begriff des Schicksals, das sich hier jetzt positiv erfüllen könnte.
  • Dann eine Kombination von Schnelligkeit, Intensität, aber auch schon „Voneinanderreißen“, ein zumindest ansatzweise gewalttätiger, schmerzender Vorgang, der im Wort aber noch die vergangene Gemeinsamkeit sichtbar macht.
  • Den Schluss bildet dann die Gegenüberstellung von Sich-etwas-Vormachen und der brutalen Erkenntnis, dass hier etwas endgültig zu Ende gegangen ist.
  • Insgesamt wirkt das Gedicht Werfels deutlich moderner in der Radikalität der Empfindungen und Zuschreibungen, am Ende aber regiert das „matt“, während es bei Eichendorff noch so etwas wie Ausbruchsaktivität zumindest in eine Untergangsvariante von Autonomie.

Vergleich

  1. Natürlich werden schon in der Sprache die Unterschiede der beiden Epochen sichtbar: In der Romantik eine voll ausgestaltete Syntax, im Expressionismus ein stark reduzierter Satzbau.
  2. Auch der Inhalt ist im romantischen Gedicht volksliedhaft ausgearbeitet in einen Ablauf von Handlungsstationen – wobei Wünsche natürlich auch Handlungen sind.
  3. Demgegenüber im Expressionismus durchaus auch eine Entwicklung, das aber stark bis hin ins Kosmische überhöht wird.
  4. Außerdem konzentriert sie sich mehr auf den Ablauf der Beziehung, während im Eichendorff-Gedicht der Ablauf der Verarbeitung noch wichtiger ist.
  5. Während es bei Eichendorff zumindest noch den Versuch der Verarbeitung gibt, hat man bei Werfel den Eindruck der Müdigkeit, der Hinnahme des unvermeidlichen Schicksals.

Liste von Gedichten: Vergleich Romantik Expressionismus

Eine Liste von Gedichten aus den beiden Epochen des Expressionismus und der Romantik, die man gut miteinander vergleichen kann, findet sich auf der Seite:

https://www.schnell-durchblicken2.de/vergleich-gedichte-expressionismus-romantik

Weiterführende Hinweise

Eichendorff, „Rückkehr“ – ein Gedicht ohne großen Zusammenhang?

Vorab-Kritik: Ein Schnellschuss?

Ausnahmsweise beginnen wir die Interpretation eines Gedichtes tatsächlich mit einem persönlichen Bekenntnis, weil wir viel gelitten haben.

Wir haben eine hohe Meinung von Gedichten und besonders auch von Eichendorff. Wir wissen aber auch, dass jeder Mensch und damit auch jeder Schriftsteller Höhen und Tiefen kennt.

Also stellen wir hier einfach mal die These auf, dass dieses Gedicht unseren Ansprüchen nicht so recht genügen kann. Wir können uns des Gefühls nicht erwehren, dass das Gedicht ein bisschen „hingeklatscht“ ist, sehr nach einem Schnellschuss aussieht.

Nun haben auch solche Gedichte ihre Berechtigung – das ändert aber nichts an der Enttäuschung derer, die von ihren Mitmenschen und damit auch von Schriftstellern mehr erwarten.

So, jeder kennt nun unsere Vor-Urteile gegenüber diesem Gedicht. Und damit gibt es auch eine gute Grundlage, das selbst zu prüfen und uns ggf. zu widersprechen.

Unsere Sicht auf das Gedicht

Joseph von Eichendorff

Überschrift und 1. Strophe

Rückkehr

01 Wer steht hier draußen? — Macht auf geschwind!
02 Schon funkelt das Feld wie geschliffen,
03 Es ist der lustige Morgenwind,
04 Der kommt durch den Wald gepfiffen.

  • Das Gedicht beginnt mit einer etwas unklaren Kommunikationssituation.
  • Am Anfang steht eine Frage, die nur aus dem Inneren eines Hauses kommen kann. Die Antwort wiederum kann hier nur von jemanden kommen, der draußen steht und rein will.
  • Dann gibt es drei Sprecher-Hinweise, die die Welt draußen sehr positiv darstellen, es geht um die Schönheit der Natur, die auch aus der menschlichen Perspektive mit einer positiven Geisteshaltung verbunden wird. Dazu kommt beim Wind das Element der Geschwindigkeit.
  • Wenn man das hermeneutische Modell anwendet und sich fragt, wie es mit dem Verständnis des Gedichtes am Ende der ersten Strophe aussieht, weiß man hier noch nicht so richtig, woran man ist.
  • Man könnte glauben, dass draußen jemand steht, der einen zum Aufbruch, zum Beispiel zu einer Wanderung aufruft. Dagegen spricht aber natürlich die Überschrift „Rückkehr“.

2. Strophe

05 Ein Wandervöglein, die Wolken und ich,
06 Wir reis’ten um die Wette,
07 Und jedes dacht‘: nun spute dich,
08 Wir treffen sie noch im Bette!

  • Die zweite Strophe präsentiert dann eine Art Rückblick auf eine intensive Reisetätigkeit.
  • Verbunden wird das mit dem Aspekt der Schnelligkeit, fast schon der Rastlosigkeit. Aus irgendeinem Grunde will das lyrische ich Irgendwelche anderen Leute überraschen, die nicht so früh auf sind wie es selbst.

3. Strophe

09 Da sind wir nun, jetzt alle heraus,
10 Die drinn noch Küsse tauschen!
11 Wir brechen sonst mit der Tür in’s Haus:
12 Klang, Duft und Waldesrauschen.

  • In dieser Strophe wird dem Leser nun das Ziel dieses schnellen Aufbruchs präsentiert, nämlich irgendwelche anderen Menschen, die eher noch mit der Liebe beschäftigt sind.
  • Verbunden wird das mit einer wahrscheinlich freundlich gemeinten Bereitschaft auch zur Gewalttätigkeit, wenn die Tür nicht schnell genug geöffnet wird.
  • Die Schlusszeile präsentiert dann einfach drei schöne Aspekte, die mit dem Wandern verbunden sind.

4. Strophe

13 Ich komme aus Italien fern
14 Und will Euch alles berichten,
15 Vom Berg Vesuv und Roma’s Stern
16 Die alten Wundergeschichten.

  • Diese Strophe passt dann am besten zur Überschrift, weil das lyrische Ich sich dort tatsächlich in die Situation eines Rückkehrers versetzt.
  • Es geht um das Sehnsuchtsland der Deutschen, von dem es berichten will, und schöne Örtlichkeiten werden dann gleich auch im romantischen Sinne mit alten „Wundergeschichten“ in eine Beziehung gesetzt – oder so verbunden.

5. Strophe

17 Da singt eine Fey auf blauem Meer,
18 Die Myrthen trunken lauschen —
19 Mir aber gefällt doch nichts so sehr,
20 Als das deutsche Waldesrauschen!

  • Die letzte Strophe geht dann in den ersten beiden Zeilen auf typisch romantische Motive und Gefühle ein,
  • macht aber dann in den letzten beiden Zeilen deutlich, dass es mehr an der deutschen Heimat hängt, mit Betonung der Bedeutung des Waldes.

Zusammenfassung

  • Insgesamt ein irgendwie sehr unstrukturiert wirkendes Gedicht, dessen Bestandteile man nur mühsam zu einem zusammenhängenden Inhalt verarbeiten kann.
  • Nicht ungefähr wird diesem Gedicht bei weitem nicht die Bedeutung zugesprochen, wie sie das andere Gedicht mit dem gleichen Titel von Eichendorff hat.
  • Insgesamt zeigt das Gedicht ein Nebeneinander von typisch romantischen Motiven und ein bisschen Fernweh, um am Ende dann ganz eindeutig eine Priorität zu setzen.
  • Sehr bedauerlich ist, dass die Schlusspointe in keiner Weise aus dem Gedicht heraus motiviert wirkt und auch ansonsten nicht weiter begründet wird.
  • So bleibt beim Leser der Eindruck eines etwas gedankenarmen Schnellschusses. Gerade der Vergleich mit dem anderen Rückkehr-Gedicht zeigt, wozu Eichendorff wirklich fähig ist.

Vergleich mit Grünbein, „Kosmopolit“

Im Rahmen des Abiturs 2020 war das Gedicht von Eichendorff, mit einem von Grünbein zu vergleichen.

Wir haben es hier behandelt.

Ohne darauf genauer eingehen zu wollen, haben wir den Eindruck, dass beide zum gleichen Ergebnis kommen, dass nämlich die echte Welt zunächst oder überhaupt die ist, in der man aufgewachsen ist.

Eichendorff begründet das nur nicht näher, während Grünbein ausführlich, wenn auch in zum Teil schwierigen Bildern auf die Probleme hinweist, wenn man zwar zwischen verschiedenen Welten pendelt, allerdings ohne wirklich auch dort heimisch zu werden.

Weiterführende Hinweise

  • Weitere Beispiele für erfolgreiches Verstehen von Gedichten finden sich hier.
  • Weitere Beispiel für Gedichte zum Thema „Reisen“, „Unterwegssein“ oder auch „Fremdsein“: hier
  • Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
  • Eine Übersicht über unsere Videos auf Youtube gibt es hier.

Durs Grünbein, „Kosmopolit“ oder die Frage: Was ist mit dem Titel?

Je schwieriger das Gedicht, desto wichtiger die Methode

  1. Wenn wir Gedichte interpretieren, dann immer „induktiv“ mit „hermeneutischer Kontrolle“.
    1. „Induktiv“ heißt dabei, dass wir uns Zeile für Zeile durcharbeiten und dabei schauen, was zusammenpasst und eine Aussage und vielleicht sogar Sinn erkennen lässt.
    2. „Hermeneutisch“ heißt, dass man immer wieder das Verständnis anpasst. Am Anfang hat man ein „Vor-Verständnis“ – und dann beginnt man eine Art Gespräch mit dem Text. Der liefert das, was das Lyrische Ich von sich gibt. Und wir als Interpreten melden dem Text gewissermaßen zurück, wie wir das verstehen. Jetzt kommt natürlich der Punkt, dass wir die Antwort des Textes auf unser aktuelles Verständnis mit ihm selbst überprüfen müssen. Denn der Text kann ja nicht mehr reden, als der Autor ihm ein für allemal mitgegeben hat.
    3. Insgesamt haben die beiden Methoden den Vorteil, dass man ganz nah am Text ein Verständnis aufbaut und das immer wieder am Text kontrolliert.
    4. Wenn wir dabei ordentlich arbeiten, kann kein Deutschlehrer der Welt das, was rauskommt, zurückweisen. Es kann höchstens sein, dass wir nicht genau genug hingeschaut haben. Aber das kann man natürlich üben.
    5. Übrigens spielt bei der Interpretation des Gedichtes der Autor überhaupt keine Rolle. Was er geschrieben hat, hat er geschrieben – und nur das ist Literatur. Alles, was man sonst noch aus seiner Biografie o.ä. weiß, ist „Literaturgeschichte“. Denn dann wird ein literarisches Werk zu einem Zeitdokument. Kunst und eben auch Literatur ist aus Prinzip zeitlos, weil ja der berühmte Satz gilt: „Kunst entsteht im Auge des Betrachters.“ Und wir lassen dem Autor natürlich seinen Anteil und machen daraus: „Kunst entsteht (endgültig erst) im Auge des Betrachters und das Verständnis ändert sich deshalb auch ständig.“

Durs Grünbeins Gedicht „Kosmopolit“ als Herausforderung

  1. Ein schönes Beispiel für eine Herausforderung ist das Gedicht „Kosmopolit“ von Durs Grünbein.
  2. Man findet es zum Beispiel auf der Seite: (wir gehen davon aus, dass es dort mit Zustimmung des Autors veröffentlicht worden ist!)
    https://www.lyrikline.org/de/gedichte/kosmopolit-75

Induktives Signal Nr. 1: Die Überschrift

  1. Wenn man die Überschrift des Gedichtes liest und ein bisschen weiß, in welchem Zusammenhang dieses Wort verwendet wird. Dann hat man schon ein erstes Vor-Verständnis von dem, was das Gedicht behandelt.
    1. Es geht offensichtlich um einen Menschen, der sich der ganzen Welt nahe fühlt, global denkt und wahrscheinlich auch gerne reist und in andere Kulturen eintaucht.
    2. Im Duden wird das Wort zum Beispiel mit „Weltbürger“ übersetzt:
      https://www.duden.de/rechtschreibung/Kosmopolit
    3. Wikipedia ist dann noch ein bisschen genauer, indem „Kosmopolit“ mit „Kosmopolitismus“ verbunden wird – und dafür wird die Erklärung geliefert:
      Kosmopolitismus (von griechisch κόσμος kósmos ‚Weltordnung, Ordnung, Welt‘ und πολίτης polítes ‚Bürger‘), auch Weltbürgertum, ist eine philosophisch-politische Weltanschauung, die den ganzen Erdkreis als Heimat betrachtet. “
      https://de.wikipedia.org/wiki/Kosmopolitismus

Die ersten beiden Zeilen des Gedichtes

  1. überraschen den Leser dann allerdings. Das Lyrische Ich geht vom extremsten Fall des Kosmopolitendaseins aus, nämlich von der weitesten Reise.
  2. Und am Tag darauf, behauptet es, dass ihm klar geworden sei, vom Reisen nichts zu verstehen.
  3. Damit wird natürlich eine sehr große Spannung aufgebaut, weil hier etwas Überraschendes und auf den ersten Blick Unverständliches präsentiert wird.
  4. Denn auf jeden Fall ist klar, dass der „Kosmopolit“ des Gedichtes nicht zu Hause von der Ferne träumt und vielleicht viele Bücher über ferne Welten liest oder auch mit vielen Menschen in anderen Kulturen Kontakt hält, sondern er ist immer wieder unterwegs gewesen.
  5. Unverständlich muss dem Leser hier erscheinen, dass jemand, der immer gereist ist, angeblich vom Reisen nichts versteht. Das kann nur als Provokation gemeint sein, denn wer viel reist, versteht automatisch etwas vom Reisen. Allenfalls macht er eine neue Erfahrung, wird ihm plötzlich etwas klar – aber dann würde man das anders formulieren.

Die Zeilen 3-6: Negativ-Erfahrungen beim Reisen

Im folgenden

    1. wird eine Kette von Eindrücken und Erfahrungen zusammengestellt, die man bei einem Kosmopoliten nicht vermutet, sondern eher bei einem, der seinen ersten Fernflug angetreten hat.
      Keiner, der immer wieder geflogen ist, wird im Bekanntenkreis als neue Erfahrung verkaufen:
      „Im Flugzeug eingesperrt, stundenlang unbeweglich“.
      Die ironische Reaktion wäre sicher: „Du, das ist mir aber jetzt absolut neu.“
    2. Auch die Feststellungen,
      1. „Unter mir Wolken, die aussehn wie Wüsten, / Wüsten, die aussehn wie Meere, und Meere, / Den Schneewehen gleich, durch die man streift“
        passen irgendwie nicht zu den plötzlichen Erkenntnissen eines Weltreisenden. Das gehört eher in eine Reportage – als allgemeine Erfahrung des Reisens würden sie wohl nicht so gut ankommen.
      2. Und ob Wolken wirklich aussehen wie Wüsten, mag jeder selbst beurteilen.
      3. Und wenn man bei Wüsten an Meere denkt, ist das in der Regel schon farblich ein Problem.
      4. Und Meere aus dem Flugzeug mit Schneewehen zu vergleichen, dürfte schwer nachzuvollziehen sein.
      5. Insgesamt hat man den Eindruck, dass dieses weit gereiste Lyrische Ich etwas Probleme hat mit der Auswahl seiner Eindrücke und deren Schilderung.
      6. Außerdem fragt sich der aufmerksame Leser sicher, ob es zum Begriff des „Kosmopoliten“ vor allem gehört, sich mit dem Fliegen zu beschäftigen. Wenn man das früher als Schüler in einem Aufsatz gemacht hätte, würde der Lehrer wohl „Thema verfehlt“ an den Rand schreiben.
        Aber ein Dichter ist ja glücklicherweise kein Schüler und darf erst mal alles.
      7. Wir behalten aber schon mal im Auge, dass in den ersten sechs Zeilen keine Rede ist von fremden Kulturen und vielleicht auch der Freude, dort etwas zu erleben und sich davon innerlich bereichern zu lassen.
        Und wäre es ein Vortrag, die Zuhörer wären sicher enttäuscht oder besonders gespannt auf das, was jetzt noch kommt. Und die Zeilen laufen gewissermaßen und werden immer weniger.

Zeile 7 und 8: Der „Narkose“-Hammer

    1. Bis zur Zeile 6 hat sich beim Leser „rezeptionsästhetisch“ eine gewisse Antihaltung gegen dieses Lyrische Ich aufgebaut, eine Enttäuschung. Man hat das Gefühl hat, dass hier etwas nicht passt, dass einem etwas vorgeführt wird, was mit der Realität so nicht viel zu tun hat, wenn man von der Überschrift des Gedichtes ausgeht.
    2. Natürlich mag es Vielflieger und auch Kosmopoliten geben, die irgendwann das Reisen leid sind. Aber dann hätte man doch gerne etwas erfahren über das Verhältnis dieses Leidens zur kosmopolitischen Lust an der Ferne und am Anderen.
      Das Gedicht heißt ja nicht „Der Ex-Kosmopolit“.
      Auch wird sich ein solches Leiden eher langsam einschleichen und das harsche Urteil, das hier gefällt wird, hat dann eine lange Vorgeschichte.
    3. Am fragwürdigsten ist dann das Bild der „Narkose“.
      1. Wenn wir uns recht erinnern, unsere letzte Operation liegt glücklicherweise lange zurück, dann war die „Narkose“ ein unter Umständen unangenehmer Aussetzer und der größte Wunsch war, wieder in die Normalität des Lebens zurückzukehren.
      2. Wenn ein Mensch nach einer Narkose anders denkt als vorher, muss er sich wohl ernsthafte Sorgen um seinen Gesundheitszustand machen, falls er das noch kann.
      3. Wir würden hier eher an das Abnehmen einer Brille mit einem bestimmten Filter denken, der uns dann die Realität anders wahrnehmen lässt.
      4. Interessant auch die Veränderung, die das Lyrische Ich an sich wahrnimmt: Es weiß jetzt, was es heißt, „über Längengrade zu irren“. Das muss aber in der Narkose ein besonders übler Traum gewesen sein. Normalerweise passiert so etwas eher im Schlaf.
      5. Da das Irren auf jeden Fall etwas Negatives sein, können wir nur annehmen (als Hypothese), dass die „Narkose“ hier auf besondere Weise bildlich gemeint ist, nämlich im Sinne eines eigenen Verständnisses des Vorgangs.

„Narkose“ heißt dann vielleicht nur, dass das Lyrische Ich irgendwie krank war bei all dem, was es als „Kosmopolit“ bisher getan hat und jetzt gewissermaßen gesund aufwacht und mit Schaudern auf seine Situation vor der OP und in einem erweiterten Sinne auf sein früheres Leben zurückblickt.

Noch eine Ergänzung:
Die Narkose ist natürlich auch ein Zeitraum weitgehender Leblosigkeit. Vor diesem Hintergrund könnte das Lyrische Ich natürlich sein früheres Leben wirklich als „Narkose“ sehen, wenn das auch ein sehr radikales Bild ist.

Zeile 9-12: Vertiefte Kritik am Reisen

  1. Ab der Zeile 9 wird das Lyrische Ich dann deutlicher, was seine Kritik an dem Dasein vor der Narkose oder besser Operation angeht.
  2. Natürlich wird bei Reisen in ferne Länder bzw. Kulturen „Zeit gestohlen“ – aber das gilt natürlich nur, wenn es eine bessere Alternative gibt. Oder will das Lyrische Ich den Titel komplett negativ interpretieren. Steht es dann vielleicht sogar ein für „Nationalismus und Provinzialismus“ – so die Negativ-Abgrenzung der Wikipedia zum kosmopolitischen Ideal.
  3. Dass „den Augen Ruhe“ gestohlen wurde, hätte wohl einen kosmopolitischen Augenmenschen wie Goethe die Augenbrauen hochziehen lassen. Möglicherweise hätte der Geheimrat diesem Ex-Kosmopoliten – muss man wohl sagen – mahnend die Faust-Worte ins Stammbuch geschrieben: „„Zum Sehen geboren, / Zum Schauen bestellt, / Dem Turme geschworen, / Gefällt mir die Welt.“ Es scheint sich hier um einen arg ermüdeten Ex-Kosmopoliten zu handeln, wenn er keine Lust mehr hat Zeit zu opfern für neue Erfahrungen und neue Seh-Erfahrungen zu machen.
  4. Dann in Zeile 10 plötzlich ein Themenwechsel: Jetzt geht es nicht mehr ums Reisen, sondern um das, was den interkulturellen Kontakt ausmacht: „Das genaue Wort verliert seinen Ort.“ Stimmt – aber das galt und gilt doch gerade als Errungenschaft der Mehrsprachigkeit, dass das scheinbar „genaue“ Wort plötzlich seine letztlich auch „provinzielle“ (siehe oben) Ortsgebundenheit verliert.
  5. Aber Vorsicht: Man muss immer bereit sein, sich auf eine andere Gedanken- und Vorstellungswelt einzulassen. Suchen wir doch mal nach dem Verlust an Genauigkeit im interkulturellen Kontakt. Hier können Erfahrungen aus internationalen Konferenzen helfen. Wenn es dann nicht um Fragen der Chemie oder der Atomphysik, sondern um sprachgebundene kulturelle Gegenstände geht, ist es wirklich problematisch, wenn Goethes „Faust“ nicht in Deutsch besprochen wird. Jedenfalls soll es jetzt schon viele Veranstaltungen der Germanistik, also der Fachwissenschaft der deutschen Sprache und Literatur, geben, die in englischer Sprache ablaufen. Das ist sicher gut für die Verständigung, aber ob es auch für die Tiefe des Verstehens gut ist …
    Also: Es hat sich gelohnt, hier sich auf die Gedanken des Lyrischen Ichs offen einzulassen. Anscheinend kritisiert es eine Weltäufigkeit, die mehr mit Laufen zu tun hat als mit Welt.
  6. Jetzt versteht man auch ganz gut, was mit dem „Schwindel“ gemeint sein kann, der beim „Tausch von Jenseits und Hier“ einhergeht. Wir wagen mal die Hypothese, dass es dem Lyrischen Ich hier um ein leichtfertiges Hin und Her zwischen „verschiedenen Religionen, mehreren Sprachen“ geht – mit der Strafe des Verlusts an Genauigkeit.

Zeile 13-17: Der Fluch des „Transitraums“

  1. Zu dem Verlust an „Genauigkeit“, man könnte auch sagen „Individualität“, „Originalität“, „Einzigartigkeit“ – alles Eigenschaften nicht nur des einzelnen Menschen, sondern auch der kulturellen Welten – passen dann die negativen Reisebilder:
    „Überall sind die Rollfelder gleich grau“.
    Und dann die Krankenzimmer „gleich hell“ sind, soll wohl auch ein Hinweis auf klinische Sauberkeit sein, die es verhindert, dass die Kranken dort etwas finden, woran das Auge sich festhalten und von wo aus die Gedanken wegfliegen können.
  2. „Transitraum“ bedeutet dann wohl ein unguter Zwischenort zwischen eigentlichen Orten, etwas Künstliches, das vom wirklichen Leben getrennt ist.
    Sehr schön die Formulierung: „Wo Leerzeit umsonst bei Bewußtsein hält“ – offensichtlich ist das hier wirklich vergeudete Zeit, die man besser verschläft o.ä.
  3. Und dann am Ende der Clou, das angebliche „Sprichwort wahr aus den Bars von Atlantis“, einem übrigens untergegangenen Kontinent.
    „Reisen ist ein Vorgeschmack auf die Hölle.“
  4. Darauf sollte man natürlich noch ein bisschen genauer eingehen: Das Reisen wird hier auf sehr pointierte Weise als Vorgang angesehen, bei dem man den eigentlichen Ort seines Lebens, in dem man eingetaucht ist, mit der ungewissen Aussicht verlässt, woanders in gleicher Weise heimisch werden zu können.
  5. Hier müsste man mal Leute fragen, die das Experiment auf unterschiedliche Weise gewagt haben. Aus der Lebenswelt interkultureller Paare weiß man allerdings, wie schwierig ein wirkliches zweites Eintauchen in eine Kultur ist.
    Auf die entsprechenden Probleme wird zum Beispiel hier hingewiesen:
    https://schnell-durchblicken3.de/index.php/schnell-durchblicken-kurse/lernkurs-facharbeit/316-interkulturelle-partnerschaft-reif
    und hier:
    https://schnell-durchblicken3.de/index.php/schnell-durchblicken-kurse/lernkurs-facharbeit/317-interkulturelle-partnerschaft-sereny

Zusammenfassung

  1. Dem Lyrischen Ich geht es wohl vor allem darum, ein Kosmopoliten-Dasein anzugreifen, das nur müde macht, am Ende nur noch Gleichförmigkeiten oder falsche Ähnlichkeiten erkennt,  vor allem keinen sicheren Ort mehr hat, wo es wirklich „genau“ sein kann.
  2. Verdeutlicht wird es an scheinbaren Paradoxien, etwa am Anfang, wo man, wenn man am weitesten gereist ist, am wenigstens vom Reisen versteht.
  3. Oder das Bild der Narkose, die auf eine vorausgehende Krankheit verweist, die jetzt überwunden wird.
  4. Vor allem wird wohl auch kritisiert, dass die Vielfalt der Kulturen immer mehr eingeebnet wird
  5. und sich ein falsch verstandener Kosmopolitismus nur in einem „Transitraum“ bewegt, der eigentlich nicht verlassen wird.

Vergleich mit Eichendorff, „Rückkehr“

Im Rahmen des Abiturs 2020 war das Gedicht von Grünbein, mit einem der beiden Gedichte von Eichendorff zu vergleichen.

Wir haben es hier behandelt.

Ohne darauf genauer eingehen zu wollen, haben wir den Eindruck, dass beide zum gleichen Ergebnis kommen, dass nämlich die echte Welt zunächst oder überhaupt die ist, in der man aufgewachsen ist.

Eichendorff begründet das nur nicht näher, während Grünbein ausführlich, wenn auch in zum Teil schwierigen Bildern auf die Probleme hinweist, wenn man zwar zwischen verschiedenen Welten pendelt, allerdings ohne wirklich auch dort heimisch zu werden.

Verweis auf ein Buch

An dieser Stelle sei auf ein Buch verwiesen, das auf die Gefahren einer falschen „Vereinheitlichung“ der Welt verweist.

Thomas Bauer, Die Vereindeutigung der Welt: Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 19492, Ditzingen 2018

 

 

Anke Maggauer-Kirsche, „Abend in den Gassen“ – Beurteilung von Gedichten

Wenn die Lust zur Beurteilung wächst …

Wenn man auf ein Gedicht stößt und nicht gleich versteht, worauf es hinausläuft, dann wird es spannend. Denn dann geht es nicht mehr nur darum, dem Deutschlehrer eine Freude zu machen. Sondern es geht um die eigene Beziehung zu dem Text. Dennoch sollte man auch nicht gleich subjektiv an den Text herangehen, sondern erst mal sachlich klären, was das Gedicht hergibt. Erst danach versucht man sich in einer Beurteilung, die vielleicht auch andere nachvollziehen können.

Beispiel-Check eines Gedichtes

Wir spielen das mal durch am Beispiel des Gedichtes „Abend in den Gassen“ von Anke Maggauer-Kirsche, Zu finden ist es hier.

  1.  „Abend in den Gassen“
    Die Überschrift gibt nur den Ort und die Tageszeit an.  Es bleibt offen, in welche Richtung das gehen wird.
  2. Es folgen zwei Beschreibungselemente, die deutlich machen, in welche Richtung die Titelangabe sich entwickelt.
    Zum einen ist da die Bewegung des Lichts in Schaffenform an den Wänden, wohl der Häuser.
    Zum anderen wird das Licht charakterisiert als „der sanfte Glanz“. Das wird verbunden mit „des Alters“ und das Nachfolgende lässt vermuten, dass es sich um Steine handelt, die zu den Gebäuden u.ä. gehören.
    Wichtig sind die Begriffe „sanfte“ und „weich“, weil sie die Richtung verdeutlichen, in welche dieser Abendeindruck geht.
  3. Die nächste Strophe verstärkt dann den Eindruck, dass es sich um eine alte Stadt handelt, man meint hier Ankänge an die Romantik zu spüren, wenn auch das Geburtsdatum der Verfasserin 1948 deutlich macht, dass das nichts mit Eichendorff und Co zu tun hat.
    „golden“ passt dann wieder zu dieser schönen Atmosphäre.
    Dass das Abendlicht „die Schatten / von den Wänden“ streift, muss erste mal nachvollzogen werden. So richtig passt das nicht, denn die Schatten werden ja am Abend eher größer – das scheint hier lokal aber wohl anders zu sein.
  4. Dass sich die Gassen dann „verwischen“, hängt sicher mit der zunehmenden Dämmerung zusammen. Das führt auch wohl dazu, dass das Lyrische Ich das als „sanfter“ empfindet. Die scharfen Konturen verschwinden.
    Die Schlusspassage gehört dann – auch nahe an Eichendorff – der Mond, der allerdings als „träger“ vorgestellt wird, vielleicht hängt es mit Müdigkeit zusammen. Die anschließende Kombination von „steil“ und „langsam“ überzeugt aber nicht so ganz, denn das Steile verbindet man eher mit Dynamik. Man muss ja auch die Bahn des Mondes sehen.
    Dass „träge“ auch noch mit einem „trüben Abendhimmel“ verbunden wird, zerstört die vorher aufgebaute Stimmung und lässt unser Leserurteil eher ins Negative kippen.

Beurteilungsaspekte

  1. Wir haben uns wirklich bemüht, das Gedicht gut zu finden.
  2. Aber irgendwie haben wir die ganze Zeit drauf gewartet, dass da noch irgendwas kommt.
  3. Aber am Ende kommt nicht nur irgendwie nichts Besonderes, sondern man hat auch den Eindruck einer ziemlichen Beliebigkeit.
  4. Am Anfang war da doch noch „der sanfte Glanz / des Alters“ und „golden“ fiel „das letzte Abendlicht“ ein. Und auch sanfter erschienen schließlich die Gassen. Aber dann der Absturz der Kombination von „steil und langsam“ beim Mond. Das geht – wie wir schon gezeigt haben, gar nicht.
  5. Und dann kombiniert die Verfasserin auch noch einen „trüben Abendhimmel“ (wodurch ist der das plötzlich geworden?) mit einem „Mond“, der als „träger“ präsentiert wird. Was soll das Ganze?
  6. Insgesamt kann man dieses Gedicht sehr schön verwenden, um die Reaktion von Lesern oder Hörern zu testen. Wir sind eher enttäuscht, haben das Gefühl, da wollte jemand ein Gedicht schreiben, hat sich hingesetzt und alles verwendet, was gerade zu sehen war oder was ihm dazu einfiel. Das kann man machen – aber wir stellen hier höhere Ansprüche an ein Gedicht, wollen keine Beliebigkeit, sondern das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit dem, worum es geht.
  7. Aber das kann man auch völlig anders sehen – und dann wird es spannend.

Idee für Vergleichsmöglichkeiten

Man könnte das Gedicht vergleichen mit Eichendorffs „Weihnachten“. Dabei geht es nicht darum, das inhaltlich gut zu finden. Aber man bekommt einen Eindruck davon, dass ein Gedicht eine Spannung enthalten kann, die auf etwas zuläuft.

Joseph von Eichendorff

Weihnachten

Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus.

  • Auch hier erst eine Beschreibung und dann der Eindruck, den das auf das Lyrische Ich macht – mit dem Akzent auf „festlich“.An den Fenstern haben Frauen
    Buntes Spielzeug fromm geschmückt,
    Tausend Kindlein stehn und schauen,
    Sind so wunderstill beglückt.
  • Hier noch mehr Details und die Wirkung auf die Kinder mit dem Schwerpunkt „beglückt“.Und ich wandre aus den Mauern
    Bis hinaus ins freie Feld,
    Hehres Glänzen, heil’ges Schauern!
    Wie so weit und still die Welt!
  • Jetzt eine Ortsveränderung „ins freie Feld“ hinein mit Hinweisen auf die tiefe Wirkung, die das auf das Lyrische Ich hat. Am Ende die Feststellung einer Welt, die „weit und still“ ist – ein Kontrast (zumindest teilweise) zu dem, was vorher beschrieben wurde.Sterne hoch die Kreise schlingen,
    Aus des Schnees Einsamkeit
    Steigt’s wie wunderbares Singen –
    O du gnadenreiche Zeit!
  • Dann der Blick nach oben und eine Art Vision, die das Lyrische Ich hat, die zu einem Erlebnis von Weihnachten führt, das aus der Natur herauswächst, aber alles einschließt, was zu dieser besonderen Zeit des Jahres gehört.
  • Auf diese „gnadenreiche“ Zeit läuft alles hinaus – damit kann man als Leser gut leben, auch wenn man selbst mit Weihnachten vielleicht andere Dinge verbindet.

Weiterführende Hinweise

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Eichendorff, „Rückkehr“ – ein scheinbar einfaches Gedicht mit vielen offenen Fragen

Ein äußerst interessantes Gedicht von Eichendorff präsentiert sich so:

Joseph von Eichendorff

Rückkehr

01 Mit meinem Saitenspiele,
02 Das schön geklungen hat,
03 Komm ich durch Länder viele
04 Zurück in diese Stadt.

05 Ich ziehe durch die Gassen,
06 So finster ist die Nacht,
07 Und alles so verlassen,
08 Hatt’s anders mir gedacht.

09 Am Brunnen steh ich lange,
10 Der rauscht fort, wie vorher,
11 Kommt mancher wohl gegangen,
12 Es kennt mich keiner mehr.

13 Da hört ich geigen, pfeifen,
14 Die Fenster glänzten weit,
15 Dazwischen drehn und schleifen
16 Viel fremde, fröhliche Leut.

17 Und Herz und Sinne mir brannten,
18 Mich trieb’s in die weite Welt,
19 Es spielten die Musikanten,
20 Da fiel ich hin im Feld.

Was ist ziemlich klar?

  1. Es geht um eine Rückkehr nach Hause, die in der Romantik meistens positiv gesehen wird.
  2. In der ersten Strophe ist auch noch alles sehr harmonisch.
  3. In der zweiten wird es „finster“ – und alles endet in einer großen Enttäuschung.
  4. Die zeigt sich dann ganz extrem am romantischen Ort des Brunnens, bei dem es aber nicht mehr romantisch-vertraut für das Lyrische Ich zugeht.
  5. In der vierten Strophe gibt es dann wieder Schönes, aber nicht für das Lyrische Ich.
  6. Wenn man aufmerksam liest, merkt man übrigens, dass das Lyrische Ich alles von den anderen Menschen erwartet, nicht selbst auf sie zugeht.
  7. Am Ende will das Lyrische Ich nur noch weg.
  8. Dort findet es aber auch nicht mehr die alten Verhältnisse wieder: Jetzt machen andere die Musik.
  9. Dementsprechend bleibt nur noch der Ausweg des Todes.
  10. Die beiden letzten Punkte werden übrigens durch die Rhythmusstörung in den Zeilen 17-19 unterstützt – erst in Zeile 20 kehrt wieder die alte Ruhe des dreihebigen Jambus ein – aber eben im Tod.

Offene Fragen

  1. Offen ist vor allem die Frage, warum das Lyrische Ich zu Hause nicht mehr ankommt.
  2. War es zu lange weg?
  3. Oder macht es nur den Fehler, nicht auf die Leute zuzugehen?
  4. Kann es das vielleicht gar nicht mehr?
  5. Hätte es zwischendurch Kontakt halten sollen?
  6. Ist das das Schicksal eines Künstlers?
  7. Ist das Lyrische Ich vielleicht auch einfach nur ein Opfer der Zeit und damit seines Alters geworden?
  8. Zeigt Eichendorff hier nicht eine Grundproblematik des modernen Menschen? Denn im Gegensatz zu vielen anderen Gedichten von ihm gibt es für dieses Lyrische Ich keine himmlische Heimat mehr, die auf jeden Fall bleibt.

Video zum Gedicht

Zu diesem Gedicht gibt es übrigens ein Video, das unter der folgenden Adresse abrufbar ist:

Die Video-Dokumentation ist auf der folgenden Seite zu finden:
https://www.schnell-durchblicken2.de/eichendorff-rueckkehr