Reim und Inhalt – gibt es Zusammenhänge?
Analyse von Gedichten – das heißt: erst mal die Form beschreiben. Beim Versmaß bzw. Rhythmus kennt man das schon: Wo ein an sich fester Rhythmus gestört wird, da ist meistens auch inhaltlich was los. Aber wie sieht das beim scheinbar so harmlosen Reim aus? Glücklicherweise hat Goethe uns zwei Gedichte hinterlassen, an denen man schön zeigen kann, dass auch Reim-Störungen was mit dem Inhalt zu tun haben.
Zum Video und zur Dokumentation
Zu diesem Thema haben wir auf Youtube ein Video eingestellt, das unter der folgenden Adresse aufgerufen werden kann:
Einführung und Überblick
Gedicht Nr. 1: Goethe, „Meeresstille“ – ein Reimpartner ist aus dem Takt
Johann Wolfgang Goethe
Meeresstille
01 Tiefe Stille herrscht im Wasser,
02 Ohne Regung ruht das Meer,
03 Und bekümmert sieht der Schiffer
04 Glatte Fläche ringsumher.
05 Keine Luft von keiner Seite!
06 Todesstille fürchterlich!
07 In der ungeheuern Weite
08 Reget keine Welle sich.
Goethe, „Glückliche Fahrt“ – zielgerichtetes Reim-Chaos
Hier noch eine kleine Ergänzung zur Dokumentation:
Bei „Glückliche Fahrt“ geht es darum, dass sich der Schiffer bei aufkommendem Wind nicht nur mal so „rühren“ soll, sondern dass er „geschwinde“ die Chance nutzt. Dementsprechend gibt es hier im Gedicht nach flauem Beginn zunehmend Reime, aber sie sind noch nicht geordnet – und das passt natürlich zu einem schnellen Aufbruch.
Johann Wolfgang Goethe
Glückliche Fahrt
01 Die Nebel zerreißen,
02 Der Himmel ist helle,
03 Und Äolus löset
04 Das ängstliche Band.
05 Es säuseln die Winde,
06 Es rührt sich der Schiffer.
07 Geschwinde! Geschwinde!
08 Es teilt sich die Welle,
09 Es naht sich die Ferne;
10 Schon seh‘ ich das Land!