Dramenszene: Voraussetzungen klären – in den Zusammenhang einordnen

Da eine Dramenszene ein Ausschnitt aus einem größeren Werk ist, muss man natürlich erst mal den Zusammenhang klären.

In gewisser Weise hat man das schon im Einleitungssatz getan, wenn man dort erklärt:
„Im Folgenden wird die 4. Szene des I. Aktes analysiert.“

Natürlich ist das nur ein erster Ansatz, denn es wird ja nicht mal darauf hingewiesen, wie viele Akte das Stück insgesamt hat.
Außerdem fehlt natürlich jede Einordnung in den thematischen Zusammenhang.

Warnung vor dem größten Fehler

Wenn man eine Szene nun auch in den Zusammenhang einordnen will, besteht der größte Fehler eigentlich darin, alles vorzustellen, „was bisher geschah“.

Das kennt man ja von Fernsehserien – und da ist es auch sehr vernünftig, jemanden, der die ersten Folgen nicht gesehen hat, möglichst zügig auf den aktuellen Stand zu bringen.

Aber auch da macht man in der Regel etwas sehr richtig: Man fasst nicht alles in gleicher Breite zusammen, sondern arbeitet genau auf den Schluss der letzten Szene hin. Denn dort hat man ja häufig einen „Cliffhanger“, d.h. da hängt im übertragenen Sinne wirklich einer „am Felsenrand“ und kann jederzeit abstürzen. Oder allgemeiner: Es ist gerade eine interessante Stelle – und man hat unterbrochen, damit möglichst viele Leute bei der nächsten Folge wieder einschalten.

Bei einer Dramenszene kann das aber anders sein: Da geht nicht eine direkt aus der vorangehenden hervor. Deshalb muss man da einen anderen Weg wählen.

Die richtigen „Voraussetzungen“: Was man wissen muss…

Besser ist es, wenn man sich die aktuelle Szene genauer anschaut und dann das zusammenstellt, was man wissen bzw. beachten sollte, um die aktuelle Szene zu verstehen.

Wir sprechen hier gerne von den „Momenten“, das kennt man aus der Physik (Drehmoment). Gemeint sind Kräfte, die in die aktuelle Szene hineinwirken, dort gebremst oder beschleunigt werden.

Machen wir uns das mal am Beispiel der oben schon genannten 4. Szene des I. Aktes von „Wilhelm Tell“ deutlich.

Schritt 1: Worum geht es in der aktuellen Szene?

  • Es geht um den jungen Melchthal, der auch flüchten muss. Ihm sollten von einem Boten des Vogts seine besten Ochsen weggenommen werden. Er hat sich gewehrt, dabei den Boten verletzt und muss nun die Rache der Obrigkeit fürchen.
  • Er ist jetzt im Haus des Schwiegervaters von Wilhelm Tell, Walter Fürst.
  • Hinzu kommt Stauffacher, den man schon aus der 2. und 3. Szene kennt – und der erzählt, während Melchthal sich im Nachbarraum versteckt hat, so ganz nebenbei von der grausamen Folter, die Melchthals Vater erleiden musste.
  • Der junge Mann ist völlig empört und will sofort los, um seinen Vater zu rächen.
  • Es gelingt den beiden älteren Männern, Melchthal zu beruhigen, indem sie versprechen, gemeinsam einen Plan zum Kampf gegen die Österreicher zu entwickeln, was sie dann auch tun.

Zusammenstellung der „Voraussetzungen“ dieses Inhalts

  • Jetzt geht man einfach die früheren Szenen durch und prüft, was mit dieser Szene was zu tun hat.
  • Szene 1:
    • Ein anderer Mann ist verfolgt worden, weil er sich auch gewehrt hat. Da hat man schon mal ein weiteres Beispiel für Unterdrückung.
    • Dieser Mann ist durch Wilhelm Tell im Rahmen einer Einzelaktion gerettet worden (Fahrt über den stürmischen See).
  • Szene 2:
    • Stauffacher ist vom Vogt bedroht worden (wieder Unterdrückung)
    • Und dann von seiner Frau dazu gebracht worden, sich mit anderen gegen die Unterdrückung zu verbinden.
  • Szene 3:
    • Hier geht es um den Bau einer „Zwingburg“, mit der die Unterdrückung auf Dauer gesichert werden kann (also: Allgemeine Bedrohung gegenüber den Einzel-Bedrohungen bis jetzt).
    • Außerdem versucht Stauffacher hier Tell zum Mitmachen beim Widerstand zu bewegen. Der ist aber nicht bereit, mitzuplan, deutet aber an, dass er später eine Aufgaben übernehmen würde. (Das ist gewissermaßen nur ein halber Erfolg und zeigt die Schwierigkeiten bei den Aufstandsvorbereitungen)
    • Außerdem soll demnächst sogar ein Hut gegrüßt werden – ist für I,4 erst mal ohne Bedeutung, zeigt aber auch die Zunahme der Unterdrückung.

Kurzfassung der Voraussetzungen

  • In den Szenen 1-3 des I. Aktes ist deutlich geworden, dass es immer wieder Übergriffe der Österreicher geht
  • und dass auf Dauer ein System errichtet werden soll, gegen das man sich kaum noch wehren kann.
  • Deshalb ist wichtig, dass die Frau von Stauffacher ihren Mann ermutigt, sich mit anderen zu verbünden.
  • Das gelingt ihm bei Tell zwar nur halb, aber immerhin will dieser besondere Mann im entscheidenden Moment mitmachen.
  • Jetzt ist die Frage, wie das mit dem Aufbau von Widerstand weitergehen wird.
    (Und genau darauf gibt Szene I,4 eine Antwort, aber noch nicht die komplette, wie man sehen wird).

Einordnung in den gesamten Werk-Zusammenhang

  • Man muss unterscheiden zwischen der Klärung der Voraussetzungen,
  • also der Dinge aus früheren Szenen, die in die aktuelle hineinspielen oder -wirken,
  • und der Einordnung in den Gesamtzusammenhang des Dramas.
  • Wir würden vorschlagen, dass mit dem Schluss der Analyse zu verbinden. Denn dann hat man auch die aktuelle Szene analysiert und kann sich gut über ihre Bedeutung für das ganze Drama äußern.
  • Und damit ist man dann auch beim Gesamtzusammenhang.
  • Uns scheint der am besten am Schluss einer Szenen-Analyse aufgehoben.

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