Vergleich des Dramas „Nathan der Weise“ mit dem Roman von Pressler – Check der Kapitel

Check der einzelnen Kapitel im Hinblick auf Vergleichsmöglichkeiten

Check des 1. Kapitels im Hinblick auf seine Akzente

  1. Perspektive einer erfundenen zusätzlichen Figur. Es geht um einen „Geschem“, der im Personenverzeichnis als „ein Junge im Haus Nathans“ vorgestellt wird.
  2. Er befindet sich „unter dem Maulbeerhaum“ – nur in Sichtweite von Nathans Haus. So bekommt er den Brand mit, will auch helfen, schafft das aber als „armseliger Krüppel“ nicht. Während er sich kriechend auf das brennende Haus zubewegt, bekommt er gerade noch mit, wie der Tempelritter zur Rettung Rechas ins Haus springt.
  3. Dann schläft er erstaunlicherweise ein und träumt vom Feuersbrand.
  4. Als er dann wieder aufwacht, bekommt er von ferne mit, dass Recha nicht verbrannt ist, sondern gerettet worden ist.
  5. Er kriecht dann näher ans Haus heran und bekommt einiges von den Gesprächen dort mit – sowohl die beruhigenden Worte Nathans gegenüber Recha als auch deren Behauptung, von einem Engel gerettet worden zu sein.
  6. Al-Hafi ist dann auch da und berichtet von der wundersamen Rettung eines einzigen Tempelritters durch die Gnade des Sultans.
  7. Außerdem geht es um die erfolgreiche Reise Nathans.
  8. Schließlich rafft sich der Junge, der erst später von Nathan seinen Namen Geschem bekommt, auf, geht ins Haus und hilft in der Küche mit.
  9. Im anschließenden Gespräch mit Nathan wird erzählt, wie dieser Junge eben kurz vor dem Tod durch Entkräftung ins Haus Nathans geholt worden ist.

Auswertungshypothesen zum 1. Kapitel

  1. Was wird durch die Erfindung der zusätzlichen Figur des Geschem erreicht?
  2. Es wird sehr viel „vorerzählt“, was im Drama erst nach und nach – man könnte auch sagen, an der richtigen Stelle, in die Szenen eingebaut wird.
  3. Deutlich wird auf jeden Fall die Wirkung der epischen Breite, die mit einem romanhaften Erzählen verbunden ist. Als jemand der die konzentriere dramaturgische Entwicklung im Drama Lessings kennt, könnte einen manches langweilen.
  4. Damit taucht die Frage auf, was mit diesem Roman überhaupt erreicht werden soll. Es wird ja ganz eindeutig vom alten Drama ausgegangen – und es beginnt gleich mit einer ziemlichen Entfernung davon. Denn der wesentliche Dialog zwischen Recha und Nathan wird ins Indirekte verlagert, was eine erhebliche Distanzierung bedeutet.
  5. Ob der Gewinn an Wirklichkeitswahrnehmung durch die Zeugenschaft Geschems, dass es wirklich ein Tempelritter gewesen ist, darf bezweifelt werden.

Kapitel 2: Dajas Perspektive

  1. Schon mal eine Vorbemerkung: Hier wird schon mal ganz deutlich, worin ein Wert des Romans auf jeden Fall liegt – nämlich in der sehr anschaulichen Beschreibung der Zeitumstände und besonders der Kreuzzugsbegeisterung. Die wird nämlich im Drama stark zurückgestellt, was Lessing die Möglichkeit gibt, die machtpolitischen, gesellschaftlichen und besonders auch religiösen Konflikte stark in den Hintergrund zu verschieben. Weder steht Nathan ja für einen rechtgläubigen Juden – noch der Sultan für einen ebenso rechtgläubigen Muslim – und auch der Tempelritter und der Patriarch stehen nicht für die einfache Rechtgläubigkeit der christlich erzogenenen Volksmassen. Die wird in ihrer strengen, fast menschenfeindlichen Art besonders deutlich in der Beschreibung des Verhaltens von Dajas Großmutter.

Kapitel 3: Elijahus Perspektive

S. 45: Ausführliche Schilderung des für Nathan traumatischen Erlebnisses, seine gesamte Familie ausgelöscht vorzufinden. Die Mörder sind christliche Kreuzritter. Das lässt sich gut vergleichen mit der entsprechenden Stelle im Drama. Hier werden die Schandtaten noch sehr viel stärker und erzeugen entsprechende Betroffenheit beim Leser – sicher mehr als bei den Zuschauern im Drama, die auf andere Dinge konzentriert sind.

Ein möglicher Zusatz des Romans zu dem, was im Drama thematisiert wird, ist die Frage nach Gott. Hier gibt es einige Stellen, die deutlich machen, wie sehr Nathan Gott als etwas Fernes empfindet, dem man nur über Menschen näher kommt. Eine interessante Parallele zu Goethes „Das Göttliche“.

  • S. 48: Im Hinblick auf die kleine Recha, die Nathan übergeben wird:
    „Gott hat mir eines für sieben gegeben“
  • S. 48: „Nur einmal sagte er: Gott ist fern,aber die Menschen sind nah. Glaube mir, Elijahu, das höchste Ziel der Menschen muss die Vernunft sein. Vernunft und die Liebe zu an- deren Menschen.“
  • S. 52: Nathan im Hinblick auf das Schicksal seiner Familie:
    „Es steht zwischen mir und meinem Gott“.
  • S. 52: „Das muss ich mit mir und Gott abmachen.“
  • S. 54: Nathan im Hinblick auf das Schicksal von Geschem, von dem er angesichts seiner unklaren Herkunft glaubt, dass er auch Jude sein könnte, was Elijahu für ketzerisch hält:
    „Ich frage mich manchmal, was uns zu Menschen macht […] Gott ist unerreichbar, und wir können ihm nur dadurch nahe sein, dass wir seine Geschöpfe lieben. Das ist es, was er von uns fordert, und das ist es, was unserem Leben Sinn und Bedeutung gibt.“

Kapitel 4: Rechas Perspektive

  • Insgesamt bringt dieses Kapitel nicht viel mehr als das, was man aus dem Drama schon kennt. Allenfalls das vertiefte Lebensgefühl nach der Erfahrung der Rettung aus Lebensgefahr wäre zu erwähnen.
  • Dazu vielleicht eine Freundin, die offensichtlich unter ihrer Verheiratung leidet.
  • Die Engel-Idee wird dann doch ziemlich schnell überwunden, als sie ihren Retter zumindest von ferne sieht.

Kapitel 5: Die Perspektive des Tempelritters

  • Anders als im Drama ist der Tempelritter von vornherein auf dem Weg zum Patriarchen, um sich eine Aufgabe zuweisen zu lassen.
  • Ausführlich wird sein unehrenhafter Kampf gegen Saladin geschildert, dessen Strafaktion und die eigene unverständliche Rettung, die ihn eher beschämt.
  • Das nutzt der Patriarch aus, als der Tempelritter ihn schließlich – anders als im Drama – in seinem Palast besucht.
  • Wie im Drama lautet allerdings die Forderung, die militärische Situation des Sultans auszuspionieren und ihn ggf. sogar zu töten.
  • Beides lehnt der Tempelritter erst mal empört ab, er wird aber an seinen Gehorsamspflicht gegenüber der Kirche erinnert und bekommt nur Bedenkzeit.
  • Die größte Abweichung zum Drama ist sicher die Beschreibung der Gefühle, die der Tempelritter entwickelt, als sein bester Freund vor seinen Augen hingerichtet wird.
  • Interessant vielleicht noch das Eingangsstatement, in dem der Tempelritter das heilig genannte Land als „Land der Barbarei und des Todes“ (S. 67) bezeichnet.

Kapitel 6: Die Perspektive Al-Hafis

  • Hier gibt es auch vieles, was wir schon kennen: Dieser Al-Hafis war als Bettelmönch am Ganges und ist jetzt aufgestiegen zum Finanzverwalter des Sultans.
  • Allerdings ist er ebenfalls mit einer Art erweitertem biografischen Mantel bekleidet worden: Er ist nämlich ganz nebenbei auch noch ein Vetter Saladins, was natürlich die erstaunliche Rang- und Positionserhöhung eher erklärlich macht, als es im Drama gegeben ist.
  • Außerdem bekommen wir so auch ein paar tiefere Einblick in die Welt der Macht, die im Drama auch nur nebenbei eine Rolle spielt. So bezeichnet Al-Hafis sich im Hinblick auf seine Herkunft als ein „sanfter Vogel unter Falken“ (90). Kurz darauf beschreibt er die zugleich gefährdete wie auch gesicherte Stellung eines mächtigen Herrschers im Verhältnis zu seinem Umfeld: „Saladin ist der absolute Herrscher, ihm darf nichts geschehen, sonst ist das Spiel verloren und allen Beteüigten drohen Untergang und Tod. Sämtliche Figuren auf dem Brett sind gezwungen, dem König zu dienen, damit das Spiel weitergeht, und darauf kann er sich verlassen. Für ihn werden Bauern geopfert, und um ihn zu schützen, versperren Pferde, Läufer und Türme unter Einsatz ihres eigenen Lebens allen Angreifern den Weg. Ein besonderer Auftrag in diesem Spiel ist der Dame zugeteilt. Auch sie schützt den König, dafür ist sie da, aber sie hat mehr Macht als die anderen Figuren, und sie hat mehr Bewegungsraum als der König selbst, dem in alle Richtungen nur ein Schritt auf das nächste Feld bleibt.“ (S. 92)

Kapitel 7: Die Perspektive Dajas II

  • Zum einen wird eine Beerdigung eingeschoben, um den Gang Nathans zu motivieren, bei dem er den Tempelritter trifft.
  • In dem Zusammenhang geht es auch um Rechas Verhältnis zum Tod.
  • Bei der Begegnung zwischen Nathan und dem Tempelritter wird die Verachtung des Christen gegenüber den Juden noch gut grundiert und erklärt durch eine Erinnerung Dajas an ihre Großmutter, die den angeblichen Mord an Jesus als Motiv für ihren Hass gegen Juden genannt hat. Außerdem wird beim Rückblick auf die Erfahrungen in der deutschen Heimat deutlich, wie man mit jüdischen Wanderhändlern umgegangen ist, deren gebückter Rücken ist ein sehr gutes Symbol dafür.
  • Interessant ist auch, wie der Zorn Daja verleitet, dem Ritter ein paar deutliche Worte ins Gesicht zu werfen. Hier wäre zu prüfen, ob das im Gespräch zwischen ihr und dem Tempelritter im Drama auch vorhanden ist, vielleicht weniger deutlich.
  • Erstaunlich ist, wie schulmeisterlich Nathan gegenüber Daja die Beschimpfung des Tempelritters kommentiert.
  • Anschließend gibt es ein erstaunliches Happy End, was man auch mit dem Drama vergleichen müsste, ob da gleich bei der ersten Begegnung mit dem Tempelritter so viel menschlicher Friede ausbricht.
  • Interessant in diesem Zusammenhang auch die Hochschätzung der Vernunft, was die Frage öffnet, ob es hier hier um Menschlichkeit und Herz oder um Vernunft geht.
  • Tatsächlich findet der Besuch des Tempelritters im Hause Nathans auch direkt im Anschluss statt und es wird in bestem Einvernehmen eine überaus menschliche Zukunftsvision entwickelt. Interessant, dass die Köchin hier sehr viel realistischer ist und auf lange Zeiträume verweist. Auch das könnte man als eine Diskussionsfrage im Unterricht aufnehmen.
  • Am Ende des Kapitels gibt es denn noch zwei interessante Elemente, zum einen eine sehr biologische Beschreibung der Anziehungskraft zwischen Mann und Frau, die direkt verglichen wird mit dem, was sich zwischen Tieren abspielt.
  • Dann gibt es am Ende einen Hinweis auf die bevorstehende Gottesfrage. Es geht nämlich darum, in den Händen welchen Gottes das Schicksal des Menschen liegt.

Kapitel 8: Die Perspektive Rechas II

  • Hier gibt es eine ausführliche Selbst-Beschreibung Rechas vor dem Spiegel,
  • die so kaum in einem Theaterstück möglich wäre und
  • auch in Lessings Stück keine Rolle spielt.

Kapitel 9: Die Perspektive Sittahs

  • Sehr viel ausführlicher als im Theaterstück werden hier die verschiedenen Aspekte der Verhandlungen zwischen Saladin und Richard Löwenherz behandelt,
  • vor allem, soweit sie das Schicksal Sittahs betreffen, die einen aus der englischen Königsfamilie heiraten soll.
  • Es zeigt sich dann, dass es sich nur um einen Trick gehandelt hat, mit dem die Kreuzfahrer Zeit gewinnen wollten.
  • Überhaupt spielen Kriegsereignisse eine große Rolle, so etwa der Kampf um Akko, vor allem aber die Grausamkeit, mit der nach ihrem Fall den Bewohnern begegnete (2700 tote Krieger und 300 tote Frauen und Kinder).
  • Jetzt soll ein Gegenangriff gestartet werden, für den man Geld braucht und dafür hat man – wie im Theaterstück – die wohlhabenden Juden im Auge. In diesem Zusammenhang ist es der von der Autorin hinzuerfundene Hauptmann Abu Hassan, der diesen Reichtum mit Gewalt nehmen will, was Saladin allerdings ablehnt.
  • Deutlich wird aber auch, welche religiöse Bedeutung Jerusalem für die Muslime hat („…denn zu ihr hat unser Prophet seine wunderbare nächtliche Reise unternommen und dort wird unsere Gemeinschaft am Tag des Jüngsten Gerichts versammelt sein.“(S. 123)
  • Außerdem geht Sittah ausführlich auf ihr Verhältnis zu ihrem Bruder Saladin ein.
  • Ihr Verhältnis zu Machmud hält sie aber vor ihrem Bruder geheim.

Kapitel 10: Die Perspektive Abu Hassans

  • Diese Figur ist vor allem hinzugefügt worden, weil sie die radikale muslimische Gesinnung deutlich werden lässt, die bei Lessing weitgehend ausgeblendet wird.
  • Dazu gehört sogar, dass dieser Hauptmann sogar an einer Verschwörung gegen Saladin beteiligt ist – weil der zu gemäßigt auftritt und den Ausgleich mit den Christen will.
  • Interessant ist an dieser Stelle, dass im Roman mit Abu Hassan auch eine ausgeprägte Judenfeindschaft verbunden ist und eine wichtige Stelle aus dem Koran zitiert wird, die den Muslimen jede Freundschaft mit Christen oder Juden verbietet.
    Verwiesen sei hier auf eine relativierende Sicht der Sure 5, Vers 51, durch eine heutige Islamwissenschaftlerin.
  • Ansonsten werden viele muslimische Siege über die Kreuzritter näher vorgestellt, allerdings wird Saladin vorgeworfen, das nicht ausgenutzt zu haben, um auch die wichtige Stadt Tyrus einzunehmen, die später den Kreuzrittern immer als Brückenkopf diente.
  • Außerdem wird kritisiert, dass Saladin nach der Einnahme Jerusalems wieder viel zu großzügig gegenüber den Besiegten gewesen sei.
  • Am Ende wird noch mal betont, wie wichtig die Ausschaltung Saladins sei – als neuer Herrscher komme nur sein Bruder Melek in Frage.

Kapitel 11: Die Perspektive des Tempelritters II

  • Im Unterschied zum Drama ist der Tempelritter gleich ganz begeistert von Recha – so dass recht moderne Liebessehnsüchte präsentiert werden.
  • Außerdem werden wir über die Herkunft des Mannes informiert – das kommt nicht am Schluss in sich langsam ergebender Auflösung, sondern es wird einfach erzählt.
  • Hier geht also viel dramatische Spannung verloren.
  • Andererseits wird das sehr viel deutlicher, was in Lessings Drama ausgeblendet wird, nämlich die praktischen Begleit-Schäden einer solch „unehrlichen“ (wie man damals dachte) Existenz – das wird sehr schön herausgearbeitet an der quälenden Wendung: „Einer wie du …“. Sie bedeutet nichts anderes, als dass dieser Ritter zwar einen Vater bekommen hat, der aber in Wirklichkeit nicht sein Vater, sondern sein Onkel ist.
  • Als Leser, der Lessings Drama schon kennt, ist man gespannt, was von der Ringparabel und von der Idee der Menschheitsfamilie am Ende noch übrig bleibt.
  • Am Ende erinnert sich der Tempelritter doch wieder an sein Gelübde, wodurch die Anfangsverliebtheit in Frage gestellt wird.
  • Das Kapitel endet damit, dass Daja auftaucht und dringend mit dem Tempelritter reden möchte. Sie verabreden sich für den Abend.

Kapitel 12: Die Perspektive Al-Hafis II

  • Rückblick auf den Besuch Nathans beim Sultan – mit der Ringparabel.
  • Al-Hafi soll soll im Auftrag Sittahs Nathan zum Sultan bringen und erinnert sich:
  • „Ich sah, wie alle erschraken, und ich konnte sie gut verstehen: Zum mächtigsten Mann der Welt gerufen zu werden, bedeutet immer eine Gefahr.“ (155)
  • Nathan bleibt allerdings relativ cool und sagt nur: „Das habe ich erwartet.“ (155)
  • Die anschließende Szene mit der Ringparabel entspricht weitestgehend dem, was man aus dem Theaterstück Lessings kennt, allerdings wird der Verlauf aus der Sicht Al-Hafis wie ein Schachspiel präsentiert, bei dem am Ende Nathan gewinnt.
  • Allerdings wird im Verlauf durchaus die Gefährlichkeit des Vorgangs deutlich, etwa wenn Al-Hafi beim Sultan ein „hinterhältiges Lächeln“ (158) sieht.
  • Am Ende zeigt sich dann Saladin doch wieder als der jenige, als den ihn sein Vetter auch kennt: „Tränen standen ihm in den Augen, er war noch immer so leicht zu rühren wie als Knabe, und ich wusste wieder, warum ich ihn früher geliebt hatte, nicht nur gefürchtet.“ (164)
  • Unabhängig davon sieht Al-Hafi aber auch das Problem: „Nathan, dachte ich, du hast gewonnen, aber es ist ein gefährlicher Sieg.“ (164). Umso mehr ist er froh, dass sein Freund dann auf den guten Gedanken kommt, unabhängig von diesem Ausgang des Spiels dem Sultan Geld anzubieten, was ja der eigentliche Ausgangspunkt des Ganzen war.
  • So endet das Ganze dann auch sehr harmonisch. Der Sultan erklärt: „Nathan, ich danke dir. Lass uns Freunde sein.“ (165)
  • Nathan selbst äußert sich am Ende dann aber relativ zurückhaltend:
    „Du irrst dich, mein Freund. Es war kein Sieg, es war höchstens ein Remis. Es war nur eine Geschichte, nur ein Traum. […] Ich habe einen Traum, dass sich eines Tages die Menschheit erheben und die wahre Bedeutung ihres Glaubensbekenntnisses ausleben wird. Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne von Juden, Muslimen und Christen miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können. […] Aber es ist nur ein Traum. Die Wirklichkeit ist eine andere.“ (166)

Kapitel 13: Die Perspektive Dajas III

  • In diesem Kapitel präsentiert sich Daja als jemand, der „plötzlich von einem bösen Geist besessen“ ist (167)
  • Das hängt mit ihrem Treffen mit dem Tempelritter zusammen: „Es war, als hätte in meinem Inneren die Sehnsucht auf der Lauer gelegen […] Die Sehnsucht nach einem milderen Licht, nach weicheren Schatten, nach einer Sonne, die nicht jeden Tag schien, nach kaltem Wind und sogar nach Frost.“ (170)
  • Und so passiert es dann auch, dass sie, als der Tempelritter bedauert, dass Recha eine Jüdin ist, deren Geheimnis verraten wird, dass sie nämlich eine Christin ist und Nathan gar nicht ihr Vater. Anschließend ist Daja erschrocken, dass ihr das herausgerutscht ist und sie bittet den Tempelritter, das zu vergessen, bevor sie davon läuft. Sie weiß aber auch: „Worte, die einmal ausgesprochen sind, lassen sich nicht mehr zurücknehmen (175)
  • Interessant ist eine längere Passage in der Daja beschreibt, wie sehr zwei Stimmen und damit auch zwei Positionen in ihr kämpfen, einmal ihre Treue gegenüber Nathan, zum anderen aber eben auch ihr sehnlicher Wunsch, wieder in ihre alte Heimat zu kommen und zwar zusammen mit Recha und dem Tempelritter, um entsprechend versorgt zu sein. Das ist ein klassisches Beispiel für die Theorie vom Inneren Team.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Inneres_Team

Kapitel 14: Die Perspektive des Tempelritters III

  • In diesem Kapitel zeigt sich der Tempelritter „gejagt und gehetzt“ und er stellt bei sich fest: „In meinen Ohren klangen die Dajas Worte mal als leises, verheißungsvolles Flüstern, dann wieder als gellende Herausforderung.“ (176)
  • In einem inneren Gespräch mit dem toten Helmfried bittet der Tempelritter: „Ich war zu jung, du musst mich von meinem Gelübde lossprechen, du musst …“ (177)
  • Auch in seiner Unterkunft findet er keine Ruhe: „Meine Lippen murmelten das Vaterunser, aber meine Gedanken hört nicht auf, im Zickzack durch meinen Kopf zu rasen, von einer Schläfe zur anderen, von der Stirn zum Hinterkopf und wieder zurück. Sie fühlten sich an die Blitze, gefangen in einem Eisenkäfig, und auch mein Kopf schmerzte, als hätte ein Blitz in ihn geschlagen. Enttäuscht und verzweifelt gab ich es auf und erhob mich.“ (178)
  • Ihm kommen entsprechen dem, was sein toter Freund Helmfried ihm gesagt hat, seine Hoffnungen wie eine Fata Morgana vor: „So ist es mit allem irdischen Glück, mein Sohn, du hetzt ihm hinterher und kannst es nie wirklich greifen. Drum hüte dich vor falschen Begierden und strebe nur nach der ewigen Seligkeit, die dir dein Gott im Himmel versprochen hat.“ (179)
  • Dann taucht Recha vor seinem inneren Auge auf und es wird deutlich, wie sehr er sich nach ihr sehnt (vgl. Seite 180).
  • Schließlich hält er es für eine rettende Idee, zum Patriarchen zu gehen und sich von dem hohen christlichen Würdenträger in der Angelegenheit beraten zu lassen.
  • Auf Seite 181 gibt es dann noch eine sehr interessante Stelle, die deutlich macht, dass der Tempelritter bei den Menschen jetzt keine Unterschiede mehr sieht nach der Herkunft.“
  • Ab Seite 182 wie wird denn das Gespräch mit dem Patriarchen geschildert, der zunächst einmal wissen will, wie es mit der geforderten Spionagetätigkeit des Tempelritters aussieht. Als der daraufhin deutlich macht, dass er das nicht könne, reagiert der Patriarch zwar zunächst milde, verweist dann aber immer stärker auf die religiösen Pflichten gegenüber der Kirche.
  • Dann kommt er auf den Anlass des Besuchs zu sprechen und wird sehr heftig wie auch im Drama, als er hört, dass ein Jude ein Christenmädchen seiner Religion entfremdet hat. Hier fehlt allerdings das hammerartige wiederholen immer derselben Verurteilungsformulierung.
  • Schließlich verlässt der Tempelritter fast fluchtartig den Palast des Patriarchen und auf seinem weiteren Weg wird er dann konfrontiert mit einer extremen Tierquälerei, bei der ein angebundener Hund von Kindern regelrecht gesteinigt wird. Der Tempelritter greift nicht ein, stellt aber fest: „Was für ein grausames Land …“ (188)
  • Dieses Erlebnis führt aber letztlich dazu, dass die inneren Mahnungen seines ehemaligen Freundes übertönt werden und er ihm schließlich sagen kann: „Sei still, Helmfried, sagte ich. Das geht dich nichts mehr an, du bist tot.“ (189)
  • Das Kapitel endet damit, dass der Tempelritter sich in seiner Not beim Sultan Hilfe holen will, ihm geht es dabei vor allen Dingen auch darum, „Nathan vor der Rache des Patriarchen zu schützen“ (189).

Kapitel 15: Geschem findet auf der Reise nach Jericho zu seiner Identität

  • Geschem darf Nathan und Eliaju auf einer Reise nach Jericho begleiten
  • und fühlt sich erstmals richtig fern dem Elend, aus dem er gekommen ist.
  • Am Ende hat er nicht nur einen Namen in einer arabischen und einer jüdischen Variante, sondern er entscheidet sich für die letztere.

Kapitel 16: Recha erfährt die Wahrheit über ihre Herkunft

  • Daja erzählt Recha von ihrer Begegnung mit dem Tempelritter, bei der sie Nathans Geheimnis und Rechas Herkunft aus einem Impuls heraus verraten hat.
  • Als Motiv nennt Daja ihre Sehnsucht nach der Heimat in Europa und ihre Hoffnung, bei einer Heirat Rechas und des Tempelritters mitgenommen zu werden.
  • Die Wahrheit über ihre christliche Herkunft führt bei Recha zu einem Identitätsproblem: „Gehörte ich nicht mehr zu meinem Volk …“ (208).
  • Sie will Jüdin bleiben: „Hier bin ich aufgewachsen, von hier lasse ich micht nicht vertreiben.“ (210)
  • Aber sie stellt auch eine Verbindung mit dem Tempelritter in Frage: „… und was war seine Liebe wert, wenn sie davon abhing, welche Religion ich hatte?“ (210)
  • Ab S. 271 nimmt Recha dann die vielen, vor allem armen, Kinder in Jerusalem erstmal wahr und freut sich anschließend, dass Geschem zumindest aus diesem Elend erlöst worden ist und jetzt sogar schreiben und lesen kann.
  • Gemeinsam machen sie sich klar, wie wichtig die Kenntnis der Herkunft oder zumindest der Besitz eines Namens für einen Menschen ist (vgl. 214)
  • Recha übernimmt auch die Gottesvorstellung Nathans, nach der Gott oder Allah nur verschiedene Namen seien – entscheidend seien „die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen. Und die Dankbarkeit für das Leben“ (215).
  • Nach dem Gespräch fühlt sich Recha erleichtert: „Mein Unglück schien mir plötzlich weniger groß als vorher, ich war nicht mehr so allein.“ (216)

Kapitel 17: Elijahu erzählt von der Ermordnung Nathans

  • Der Schluss des Romans ist völlig anders als in Lessings Drama.
  • Auf der Rückkehr von einem Besuch beim Sultan, bei dem er wertvolle Waren gut verkaufen kann und viel Geld mitnimmt, wird er überfallen, beraubt und ermordet.
  • Viel spricht dafür, dass der Anstifter jeder fanatische Muslim ist, der als Hauptmann in der Armee des Sultans dient und zugleich gegen ihn arbeitet.

Kapitel 18: Rechas Bericht über die Zeit nach Nathans Tod

  • Neben der Trauer
  • steht die Hoffnung auf eine bessere Zeit in der Zukunft im Mittelpunkt, die bei einem Besuch des Tempelritters mit Nathan besprochen wurde (vgl. 235).
  • Recha will keine Rache, nicht mal eine Bestrafung der Täter, sondern das Andenken an Nathan ehren und in seinem Sinne weiter wirken.
  • Al-Hafis verweist auf die Bedeutung der Ringgeschichte, die noch lange im Gedächtnis der Menschen bleiben werde.
  • Am Ende kommt es zu einem langen Gedankenaustausch zwischen Recha und dem Tempelritter, der es nahelegt, dass beide den Sohn in die Welt setzen werden, der dann nach Nathan benannt werden soll und den sie lehren will, „dass es nichts Größeres auf dieser Welt gibt als Liebe und Barmherzigkeit.“ (242)

Aussageschwerpunkte (Intentionalität) des Romans

  1. Deutlich ist, dass der Roman ein sehr viel breiteres Bild der Welt präsentiert, zum Beispiel auch das Elend der Kinder und die Bösartigkeit mancher Menschen einbezieht.
  2. Realistischer erscheint auch das Bild des Herrschers, der eben durchaus auch unberechenbar und gewalttätig sein kann, was die Gefahr, in der Nathan sich vor seiner Idee mit der Ringparabel befindet, deutlich größer erscheinen lässt.
  3. Auch wird die fanatische Seite der Religionen deutlicher, etwa in der Großmutter Dajas oder eben in diesem Hauptmann Abu Hassan.
  4. Dafür ist die Gestalt des Tempelherrn  viel weniger arrogant und abweisend gezeichnet, er wirkt selbst mehr als Opfer, denn als Täter.
  5. Im Unterschied zum Drama wird darauf verzichtet, Recha jetzt auch noch in ein Verwandtschaftsverhältnis zum Sultan zu bringen. Damit wird ein Kernproblem des Dramas aus der Welt geschafft, in dem ja die Liebe zwischen Recha und dem Tempelherrn am Ende reduziert wird auf ein Geschwisterlichesverhältnis. Im Roman bleibt für die beiden die Option eines gemeinsamen partnerschaftlichen Lebens offen.

Weiterführende Hinweise

  • Wird fortgesetzt …

Ansonsten schon mal der Hinweis auf weitere Angebote auf unseren Seiten und auf Youtube:

  • Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
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