Die besondere Bedeutung von Szenen in einem Drama
Weil bei einem Drama immer ein Konflikt vorliegt, ist gewissermaßen jede Szene ein mehr oder weniger großes Rädchen im Gesamtgetriebe.
Rückblick auf den Inhalt der Szene I,2
Wir schauen uns das mal bei der Szene an, die wir eben schon ausgewertet haben.
In „Wilhelm Tell“, I,2 ging es ja darum, dass neben einer ersten Gewaltaktion der Österreicher in I,1 (versuchte Vergewaltigung) nun eine zweite geschehen ist, in Form einer Drohung gegenüber Stauffacher. Der kaiserliche Vogt hatte ja deutlich gemacht, dass er dem Schweizer Bauern sein schönes Haus nicht gönnt.
Die Szene I,2 macht nun deutlich, welche psychischen Folgen sich für den Betroffenen durch eine solche Drohung ergeben. Zugleich wird deutlich, dass es mit seiner Frau jemanden gibt, der sich nicht seinen Ängsten hingibt, sondern die Situation nüchtern analysiert und überlegt, was man rechtzeitig gegen das ganze Bedrohungssystem tun kann.
Da es ihr gelingt, ihren Mann zu überzeugen, zeigt diese Szene einen ersten Auslöser für den immer größer werdenden Widerstand gegen die Österreicher. Stauffacher macht sich nämlich auf den Weg und bereitet schließlich mit anderen zusammen den Rütli-Schwur und damit den Aufstand vor.
Ein Aspekt, an den Schiller wohl nur zur Hälfte gedacht hat
Die Szene ist noch aus einem anderen Grund hochinteressant für unser Thema.
Denn was wir eben entwickelt haben, ist sicher ganz im Sinne Schillers und seiner Konzeption.
Wie wir schon häufig erwähnt haben, enthält aber jeder Text mehr, als der Verfasser hineingelegt hat. Das gilt besonders für literarische Texte.
Und so kam es sicher Schiller darauf an, zu zeigen, dass Frauen in der Realität eine größere Rolle gespielt haben schon in den damaligen Zeiten, als man dem Geschichtsbuch entnehmen kann. Denn dort geht es meistens nach dem Motto: „Cherchez la femme“ – und die Aufforderung meint eben, dass man die Frau immer im Hintergrund finden kann. Das ist eine gute und eine schlechte Nachricht für die Frauen: Sie leisten nämlich viel – aber es wird in den Geschichtsbüchern normalerweise nicht erwähnt.
In dem Punkt ist Schillers Szene sicher ein großer Pluspunkt.
Allerdings gibt es da eben auch den Schluss – und der zeigt etwas, woran Schiller wahrscheinlich nicht gedacht hat: Am Ende verweist Stauffacher seine Frau wieder auf den damals normalen Platz (in moderner Sprache): „Pass schön aufs Haus auf, verhalt dich klug und sei nett zu den Leuten“. Als ob diese Frau nicht schon bewiesen hätte, dass sie mindestens so klug und verantwortungsbewusst ist wie ihr Mann.
Langer Rede kurzer Sinn: Es gibt auch eine Bedeutung einer Szene für das Gesamtwerk, an die der Dichter möglicherweise gar nicht gedacht hat – wohl aber wir 😉
Ausblick auf eine moderne Abänderung des Schlusses
Wer übrigens wissen möchte, wie wir das für unser Kreativitäts-Kapitel genutzt haben, findet hier die Lösung.