Warum kommt diese Abiturrede so gut an?
In Youtube gibt es die Abiturrede eines Schülers aus dem Jahre 2016, die dort als „Beste Abirede auf diesem Kanal“ vorgestellt wird.
Also lohnt es sich wohl, sich damit etwas zu beschäftigen, um herauszubekommen, was daran so gut ist.
- 0:00 Der Schüler kommt gleich gut rüber und damit auch an, indem er auch die Leute anspricht, die „uneingeladen gekommen“ sind, was sicher eine Anspielung ist.
- 0:30 Es folgt ein Rückblick auf die Entstehung dieser Rede. Angeblich hat der Redner es genauso gemacht wie bei der „5. Prüfungskomponente“ und erst am Abend vorher angefangen. Diese ironische Anspielung produziert schon mal einige Lacher.
- 1:10 „Nein, die Wahrheit ist…“ – Nach der launigen Einleitung, die erst mal für eine gute Aufnahme-Stimmung sorgt, wird es dann wirklich ernst. Nach einem wohl zunächst ernst gemeinten Lob für die Lehrer gibt es eine zweideutige Bemerkung, bei der typisches Schülerverhalten zumindest scheinbar auch den Lehrern zugeordnet wird.
- 1:25 Es wird anerkannt, dass man den Schülern einiges beigebracht hat – aber das wird schon wieder ins Launige gezogen mit der Bemerkung: „Es kann sein, dass wir das gar nicht mitbekommen haben.“
- 1:40 Es folgt dann eine Falle, indem zunächst scheinbar lobend festgestellt wird, dass man etwas gelernt hat, von dem man sich nicht mehr vorstellen könnte, es nicht gewusst zu haben. Dann kommen Beispiele, die das eigentlich ins Gegenteil verkehren, weil es sich wohl zumindest zum Teil um Spezialwissen handelt, was über normale Allgemeinbildung hinausgeht.
- 1:57 Ausdrücklich ausgenommen aus diesem halbernsten Lob werden dann Elemente der Mathematik.
- 2:15 Dann geht es um Lernergebnisse, die „gar nicht beabsichtigt“ waren: Als Beispiel wird der Unfall eines Lehrers beim Badmintonspiel (typische Anspielung für Insider) erwähnt, der dazu geführt hat, dass die Schüler jetzt entsprechend vorsichtig waren beim Badminton-Spiel.
- 2:40 Hier gibt es einen Hinweis auf die frühere Schulsituation des Redners in einem französischen Gymnasium, in dem es keine Tutoren gab. Für Nicht-Insider nicht ganz verständlich ist der Hinweis auf Unterschiede im Entschuldigungsverfahren.
- 2:55: Von da aus wird übergeleitet zur freien Fächerwahl in der Oberstufe, wo man Tutoren als große Hilfe erleben kann.
- 3:15 Die dankbare Erinnerung an den guten eigenen Tutor wird theatralisch mit dem Griff zum Taschentuch verbunden, weil angeblich die Tränen kommen.
- 3:27 Dann wird ein roter Faden abgerollt, bei dem es um den Ernst des Lebens geht. Das wird dann aber mit Hinweis auf das angeblich lockere Leben in der 1. Klasse etwas konterkariert.
- 3:52 Auch hier wieder eine kleine Anspielung, dass das in Mathe aber anders gewesen sei.
- 3:58 In der 8. Klasse habe es dann geheißen: Die Schulzeit sei die schönste Zeit im Leben, die man genießen solle. Das wird dann ebenfalls konterkariert durch die Standard-Antwort: „Ja, das mache ich gleich, wenn ich mit den Hausaufgaben fertig bin.“
- 4:06 Der Hinweis auf den eigenen Schulwechsel in der 11. Klasse wird verbunden mit dem Lob der Schulsituation, die man dann vorgefunden habe. Auch das wird dann wieder an einer Stelle etwas ironisch verschoben, wenn das Sich-fast-zu-Hause-Fühlen verbunden wird mit dem Hinweis auf den kurzen Schulweg.
- 4:35 Die insgesamt 12 Jahre als interessante Zeit: Die Schulzeit wirklich als schönste Zeit des Lebens – auch hier wieder mit der verständlichen Einschränkung „bis jetzt“.
- 4:55 Danksagung für den ganzen Jahrgang – und damit die Erfüllung der wichtigen Erwartung, dass eben auch eine positive Rückmeldung erfolgt.
Auswertung:
Die Rede zeigt,
- wie eine relativ kurze (5:23 Minuten) Abiturrede eines Schülersvertreters gut ankommtn kann, wie man am häufigen Applaus feststellt.
- Sehr gelungen ist dabei sicher der launige Einstieg, bei dem ironisch ein Normalverhalten von Schülern auch noch auf die Vorbereitung dieser Rede bezogen wird.
- Das Lob des Unterrichts wird bewusst in einer ironischen Grauzone gehalten: Es wird gelobt und nicht kritisiert, aber es gibt auch die Anspielung, dass Lehrer auch Schwächen haben.
- Typisch für eine Abiturrede ist die Einbeziehung eines besonderen Erlebnisses, in diesem Falle des Sportunfalls des Informatiklehrers.
- Ebenso ironisiert wird der besondere Dank an den eigenen Tutor, den nur Insider richtig einordnen können.
- Einen roten Faden bekommt die Rede zeitweise, indem der eigene Werdegang präsentiert und kommentiert wird – auch hier wieder gebrochen durch vielfältige Ironisierung.
- Der Schluss geht dann über zum nur noch Positiven: von der Anerkennung der Bezeichnung der Schulzeit als schönste Zeit des Lebens (wieder ironisch, aber verständlich relativiert) bis hin zur klaren Danksagung für das von allen Geleistete, die bei der schulischen Entwicklung behilflich waren.
- Interessant könnte es sein, diese Rede mit anderen zu vergleichen, weil man erst dann das Besondere sieht und einschätzen kann. Auf jeden Fall gehört diese Rede eher zu den „leichtfüßigen“ und gefälligen, bei der nicht weiter in die Tiefe gegangen wird. Aber das kann man sicher verstehen, wenn man daran denkt, dass vorher sicher einiges an Tiefsinn präsentiert worden ist.
Weiterführende Hinweise
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