Vergleich Eichendorff, „Das zerbrochene Ringlein“ und Werfel, „Blick-Begegnung“

Romantik und Expressionismus

Der Vergleich von Gedichten aus der Romantik mit solchen aus dem Expressionismus ist immer interessant. Denn es gibt erhebliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Epochen.

Die Romantiker greifen nach dem Höchsten, setzen dabei stark auf Gefühle. Letzteres gilt auch für die Expressionisten. Allerdings sind sie natürlich schon einige Jahrzehnte von dem glaubensseligen Idealismus um 1800 (und in den Ausläufern bis in die 50er Jahre des 19. Jhdts.) entfernt.

Aber es gibt ja auch die „Nachtseite“ der Romantik – und vom Grausigen ist es kein weiter Weg mehr bis zum Grässlichen.

Aber schauen wir uns das einfach mal an zwei Gedichten an.

Dazu gibt es auch ein Video, das man hier aufrufen kann:
https://youtu.be/D3Sa1sTweRQ

Die Dokumentation kann man hier herunterladen:

Mat1786 Wie findet man passende Gedichte zum Vergleich Romantik-Expressionismus

Eichendorff, „Das zerbrochene Ringlein“

Joseph von Eichendorff

Das zerbrochene Ringlein

In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
Mein Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.

  • Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung eines Verlustes, der mit einem ganz bestimmten Ort verbunden ist.

Sie hat mir Treu versprochen,
Gab mir ein’n Ring dabei,
Sie hat die Treu gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.

  • Die zweite Strophe bringt dann den maximalen Kontrast zwischen dem Versprechen der Treue und dem Bruch, verbunden mit dem Symbol des Rings, der auch zerstört ist.

Ich möcht als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus,
Und singen meine Weisen,
Und gehn von Haus zu Haus.

  • Was macht der Romantiker, wenn er in Not kommt: Er flieht hinaus und hofft dort als Spielmann wahrscheinlich, seine innere Not loszuwerden.
  • Interessant die Wiederaufnahme des Motivs der Wohnung, diesmal aber geht es nicht mehr um eine direkt oder indirekt eigene (der Liebsten), sondern um andere Menschen, von deren möglicherweise noch vorhandenem Glück man gewissermaßen nur ein bisschen was abbekommt.

Ich möcht als Reiter fliegen
Wohl in die blutge Schlacht,
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.

  • Einige Romantiker gehen dann noch einen Schritt weiter: Sie schreien oder zumindest singen ihre Qual nicht nur hinaus (man wird an das Wort von Goethes Tasso erinnert: „Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide„,
  • sondern suchen auch die existenzielle Herausforderung bis hin zur Gefahr des Todes.Hör ich das Mühlrad gehen:
    Ich weiß nicht, was ich will –
    Ich möcht am liebsten sterben,
    Da wärs auf einmal still!
  • Die letzte Strophe macht diesen Zusammenhang dann auch ganz deutlich,
  • wobei das Mühlrad die quälende Verbindung von Glück und Verlust immer wieder in Erinnerung ruft.

Franz Werfel, „Blick – Begegnung“

Franz Werfel

Blick – Begegnung

Ein Blick!
Ein Grüßen, Schmachten, Gleißen,
Ein Wiedersehn von Sternenzeiten her!
Die Straße strömt,
Das Schicksal ist bereit.
Ein rasches heißes Voneinanderreißen!
Matt rückgewandt ein: Noch, noch ist es Zeit!
Und jetzt: Nie mehr!

  • Der Titel gibt noch Hoffnung, indem er den Blick zumindest mit einer Begegnung verbindet, also eine Steigerung enthält.
  • Die nächsten Zeilen sind dann schon typisch expressionistisch: Es beginnt mit immer stärker werdenden Gefühlen, die sich dann ins Kosmische hineinsteigern.
  • Aus der Festigkeit der Normalität („Straße“) wird eine Art Fluss („strömt“), von dem man wohl mitgerissen wird.
  • Alles zusammengefasst im Begriff des Schicksals, das sich hier jetzt positiv erfüllen könnte.
  • Dann eine Kombination von Schnelligkeit, Intensität, aber auch schon „Voneinanderreißen“, ein zumindest ansatzweise gewalttätiger, schmerzender Vorgang, der im Wort aber noch die vergangene Gemeinsamkeit sichtbar macht.
  • Den Schluss bildet dann die Gegenüberstellung von Sich-etwas-Vormachen und der brutalen Erkenntnis, dass hier etwas endgültig zu Ende gegangen ist.
  • Insgesamt wirkt das Gedicht Werfels deutlich moderner in der Radikalität der Empfindungen und Zuschreibungen, am Ende aber regiert das „matt“, während es bei Eichendorff noch so etwas wie Ausbruchsaktivität zumindest in eine Untergangsvariante von Autonomie.

Vergleich

  1. Natürlich werden schon in der Sprache die Unterschiede der beiden Epochen sichtbar: In der Romantik eine voll ausgestaltete Syntax, im Expressionismus ein stark reduzierter Satzbau.
  2. Auch der Inhalt ist im romantischen Gedicht volksliedhaft ausgearbeitet in einen Ablauf von Handlungsstationen – wobei Wünsche natürlich auch Handlungen sind.
  3. Demgegenüber im Expressionismus durchaus auch eine Entwicklung, das aber stark bis hin ins Kosmische überhöht wird.
  4. Außerdem konzentriert sie sich mehr auf den Ablauf der Beziehung, während im Eichendorff-Gedicht der Ablauf der Verarbeitung noch wichtiger ist.
  5. Während es bei Eichendorff zumindest noch den Versuch der Verarbeitung gibt, hat man bei Werfel den Eindruck der Müdigkeit, der Hinnahme des unvermeidlichen Schicksals.

Liste von Gedichten: Vergleich Romantik Expressionismus

Eine Liste von Gedichten aus den beiden Epochen des Expressionismus und der Romantik, die man gut miteinander vergleichen kann, findet sich auf der Seite:

https://www.schnell-durchblicken2.de/vergleich-gedichte-expressionismus-romantik

Weiterführende Hinweise