Gedicht: Schwierige Stelle verstehen

Wissen:

  1. Gedichte sind meistens sehr konzentrierte Texte.
  2. Je „löchriger“ eine Stelle ist, desto mehr muss man auch hineindenken.
  3. Das sind aber immer nur Hilfsmaßnahmen, die man immer wieder am Text überprüfen muss.
  4. Irgendeine Interpretation nehmen kann helfen, aber dort können einem auch nur Wege gezeigt werden, die einen selbst überzeugen müssen.
  5. Vor allem müssen sie zum Wortlaut des Gedichtes passen. Was der Autor sich da möglicherweise gedacht hat und was man aus seiner Biografie herausholen kann, ist zweitrangig.#

Verstehen

  • Bei einer schwierigen Stelle in einem Gedicht muss man gewissermaßen ein Gespräch mit dem Text führen.
  • Das Gedicht kann aber nur mit dem antworten, was da steht.
  • Also muss man selbst versuchen, die Lücken zu füllen.
  • Das ist ganz natürlich – es muss für andere nur nachvollziehbar sein.

Machen

Wir probieren das jetzt mal am Beispiel eines Gedichtes von Lessing aus.
Die Überschrift lassen wir mal weg, weil sie nur besagt, dass Lessing dieses Gedicht wohl mit Blick auf jemanden geschrieben hat.
Uns interessiert aber nicht der biografische Kontext, sondern der Wortlaut des Gedichtes.
Zu finden ist das Gedicht zum Beispiel hier:

01: Des Geists der Wahrheit rühmt sich bald
02: Die Kirche jedes Ortes;
03: Und alles zwingende Gewalt
04: Wird Kraft des wahren Wortes.

  1. Es geht um drei Dinge, zum einen um den „Geist der Wahrheit“, dann „Die Kirche jedes Ortes“ und dann die Verbindung der beiden Dinge, nämlich das Rühmen.
  2. Wir verstehen das so, dass alle Kirchen für sich in Anspruch nehmen, den Geist der Wahrheit zu verkörpern.
  3. Nun kann man da skeptisch werden, weil die Kirche zu Lessings Zeiten eher auf religiöse Rechtgläubigkeit setzte, als auf Gedanken der Aufklärung.
  4. Aber man kann mal die Vermutung anstellen, dass Lessing hier wirklich optimistisch ist und annimmt, dass sich die Kirche auf die Aufklärung einstellen.
  5. Das wird dann bestätigt durch die zweite Hälfte des Gedichtes, denn es was demnächst „alles“ zwingen soll, ist die „Kraft des wahren Wortes“.
  6. Und daran kann nicht gezweifelt werden, dass das positiv gemeint ist.
  7. Letztlich macht es wohl am meisten Sinn, wenn man das sehr kurze und damit inhaltlich auch verkürzte Gedicht so versteht, dass die Kirchen überall sich nicht nur rühmen,
  8. sondern dass dabei auch die Wahrheit zur „alles zwingenden Gewalt“ wird, also sich durchsetzt.
  9. Hier kann man nun ergänzendes Wissen hinzunehmen, dass Lessing als Aufklärer eben auch ein Optimist war, der glaubte, dass die Gedanken und vor allem die Prinzipien der Aufklärung sich überall durchsetzen würden  – sogar in den Kirchen als den bisherigen Bastionen der Rechtgläubigkeit.

Weiterführende Hinweise