Justinus Kerner, „Erstes Grün“ – Versuch, sich einem Gedicht anzunähern und daraus was eigenes zu machen („approaching a poem“) (Mat5421)

Worum es hier geht:

  • Vorgestellt wird hier ein Gedicht von Justinus Kerner mit dem Titel “Erstes Grün”.
  • Ziel ist, das Gedicht zunächst mal zu verstehen.
  • Anschließend wird überlegt, wie man es Schülis nahebringen kann, die dem Gedicht erst mal mit großer Distanz begegnen.

Zu finden ist das Gedicht u.a. hier:
http://www.justinus-kerner.de/index.php/gedichte/100-erstes-gruen

Anmerkungen zum Titel und zu Strophe 1

Erstes Grün

  • Hier kann man sich erst mal klarmachen, was mit diesem Titel wohl gemeint ist.
  • Es geht wohl um das Ende des Winters und die ersten Zeichen des Frühlings.
  • Jeder kann für sich selbst mal überlegen, was das für ihn bedeutet.

Du junges Grün, du frisches Gras!
Wie manches Herz durch dich genas,
Das von des Winters Schnee erkrankt,
Oh wie mein Herz nach dir verlangt!

  • Hier wird dieses junge Grün regelrecht angeredet – es liegt also eine Personifizierung vor.
  • Was man beim Titel schon im Kopf haben konnte, wird hier präzisiert: Es wird festgestellt, dass dieses Grün schon manchen Menschen gesund gemacht hat.
  • Hingewiesen wird in dem Zusammenhang auch auf die Zeit, die offensichtlich Menschen krank gemacht hat, nämlich „des Winters Schnee“.
    • Anmerkung:
      Das werden Wintersportler heute sicherlich zum Teil anders sehen.
    • Man muss allerdings berücksichtigen, dass im 19. Jahrhundert kaum jemand die Chance hatte, Wintersport im heutigen Sinne zu betreiben.
  • Am Ende dann macht das lyrische Ich deutlich, dass es ihm genauso geht wie den Menschen, deren Herz gesund werden musste. Es hat regelrecht Sehnsucht nach diesem Grün und wohl auch nach der Jahreszeit, für die es steht.

Anmerkungen zu Strophe 2

Schon wächst du aus der Erde Nacht,
Wie dir mein Aug‘ entgegen lacht!
Hier in des Waldes stillem Grund
Drückt‘ ich dich, Grün, an Herz und Mund.

  • Hier wird die Erde ein bisschen negativ gesehen, mit Dunkelheit verbunden.
  • Das frische Grün steht also auch für einen neu beginnenden Tag. In diesem Falle geht es eben um eine neue Jahreszeit
  • Das lyrische Ich denkt ein bisschen über sich selbst nach und stellt fest, wie das Auge dem Neuen „entgegen lacht“, also sich darauf freut.
  • Am Ende wird dieses Grün fast behandelt wie ein geliebter Mensch.
  • Wichtig ist noch die Situation, in der das lyrische Ich sich befindet:
    • Hier merkt man eine romantische Grundstimmung, wie sie auch bei Eichendorff zu finden ist.
    • Der Wald ist ein Ort der Stille, der Besinnung und steht möglicherweise auch im Gegensatz zur Hektik des Alltags.

Anmerkungen zu Strophe 3

Wie treibt’s mich von den Menschen fort!
Mein Leid, das hebt kein Menschenwort,
Nur junges Grün ans Herz gelegt,
Macht, daß mein Herze stiller schlägt.

  • Zu Beginn der 3. Strophe taucht ein weiteres Motiv der Romantik auf, nämlich das Bedürfnis nach Einsamkeit.
  • Das lyrische Ich macht dann noch einmal deutlich, dass die Natur ihm wichtiger erscheint, hilfreicher als nur das, was Menschen (z.B. tröstend) sagen.
  • Dem wird eben „junges Grün“ als Heilmittel entgegengesetzt, indem man es „ans Herz“ legt. Ob das körperlich oder nur im übertragenen Sinne gemeint ist, bleibt offen.
  • Wichtig ist wohl das „Herz“ als eins der Leitmotive einer jeden Innerlichkeit.
  • Auf jeden Fall gibt es für das innerste Zentrum des Herzens die wahrscheinlich erhoffte Beruhigung.
  • Die aber ist eben nur in der Einsamkeit und im Idealfall in der Stille des Waldes zu finden.

Überlegungen, wie Schülis in Kontakt kommen können mit diesem Gedicht

  • Noch mal, es geht hier nicht um die landläufige Interpretation, wie sie in Schulbüchern erscheint. Man hat dort immer den Eindruck, dass es letztlich um das Abarbeiten germanistischer Checklisten geht.
  • Die müssen und dürfen auch sein.
  • Aber viel wichtiger ist, dass die Schülis wirklich einen eigenen Weg in das Gedicht hineinfinden – schlimmstenfalls auch im völligen Protest. Dann kann man dem, was nicht gefällt, immer noch etwas kreativ entgegensetzen.
  • Also schauen wir uns mal an, was dieses Gedicht positiv und vielleicht auch negativ zu bieten hat.
  1. Zunächst geht es darum, überhaupt erst mal das Grundgefühl des Gedichtes aufzunehmen und im Rahmen des Möglichen nachzuempfinden.
    1. Man könnte ein Bild zeigen, auf dem noch viel Winterliches zu sehen ist, aber eben auch schon frisches Grün.
    2. Vielleicht sollte man das mit Blumen verbinden, die als erste in vielen Gärten zu sehen sind. Das wirkt möglicherweise noch stärker.
      https://www.meister-und-meister.de/gartenblog/fruehlingsblumen-und-was-haben-sie-auf-dem-kasten/
  2. Natürlich kann es sein, dass heutige Jugendliche den Winter gar nicht mehr so negativ sehen.
    1. Zum einen erfahren sie ihn vielleicht kaum noch negativ, fahren mit dem Bus zur Schule oder werden von den Eltern gebracht.
    2. Den positiven Wirkungseffekt von Wintersport haben wir schon erwähnt. Masn entwickelt dann sicher ein ganz anderes Gefühl für Schnee.
    3. Oder man fliegt sowieso in den Süden – was stört einen dann die Eiseskälte im eigenen Land. Zumindest wird sie nicht zur dreimonatigen Dauerbelastung.
  3. Vielleicht muss man sich deshalb eine andere Situation ausdenken, in der ein Mensch plötzlich starke Gefühle entwickelt für Elemente der Natur.
    1. Das könnte zum Beispiel eine Oase sein – oder etwas Oasenähnliches nach einer langen Bergwanderung, wenn dann endlich die Hütte auftaucht – mit schön gepflegter Naturumgebung nach Schotter und Geröll.
    2. Oder man hat nach längerer Fahrt durch den Schwarzwald die Kirschblüte in einem geschützten Tal erlebt.
      https://www.touren-schwarzwald.info/de/punkt/flora/kirschbluete-im-eggenertal/16118690/
  4. Man könnte auch einfach mal die Schülis fragen, ob sie neben Tieren auch zu anderen Elementen der Natur eine intensive Beziehung haben oder aufnehmen können.
    Denn es geht ja um ihr „Einfühlen“ in die Situation und Stimmung des Gedichtes.
  5. Ansonsten gibt es natürlich die Möglichkeit, zu prüfen, ob und wie es der Verfasser geschafft hat, seine Begeisterung über das erste Grün des Frühlings in Worte zu fassen.
    1. Anrede: „Du junges Grün, du frisches Gras!“
      Einfach mal nachmachen lassen. Aus Spaß mal die offene Tür aus dem Klassenraum „anbeten“, die in die Pause führt.
    2. Verwendung des Wortfeldes: krank gesund:
      Auch hier mal aussprobieren lassen.
      Eine selbstbewusste Lehrkraft lenkt die Stimmung der Schülis im Hinblick auf Schule und Unterricht mal in dieses Wortfeld. 😉
    3. Man kann auch die Verwendung eines zentralen Bildes für das eigene Innere mal in eigene Worte gießen:
      Bei einer pubertierenden Klasse muss das ja nichts mit Beziehung zu tun haben. Es kann auch der Verein ein, nach dem „mein Herz […] verlangt“
    4. 😉
  6. Auf jeden Fall sollte am Ende ein eigenes Gedicht stehen,
    1. das diese Sehnsucht nach einer bestimmten Art von Natur ausdrückt.
    2. Und wenn jemand überhaupt keine Beziehung zur Natur hat, soll er ggf. auch seine Sehnsucht nach einer bestimmten Veranstaltung in Verse fassen.
    3. Wichtig ist: Kein Reimzwang. Es reicht erst mal, wenn überhaupt begriffen und ausprobiert wird, was ein Text in Versform ist.
      Dann kann man sich ein bisschen um Rhythmus bemühen – und denen, die noch mehr wollen, muss man hier wohl keine Tipps geben 😉

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