So wie auf diesem Foto geht es vielen Schülern. Sie sitzen vor einer Lektüre, die ihnen erst mal viel zu lang vorkommt. Und dann ist da auch noch eine Sprache, die sie zum Teil gar nicht verstehen.
Wir versuchen, hier eine Brücke zu schlagen, indem wir die wichtigsten inhaltlichen Schritte zusammen mit zentralen Textstellen im mp3-Format präsentieren.
Man kann sich also unsere Erklärungen „auf die Ohren legen“ und in aller Ruhe an der eigenen Ausgabe der Lektüre nachvollziehen – und gleich auch mit Markierungen.
Dann steckt man nämlich nicht mehr so im Dunkel wie auf dem Foto, sondern ahnt im Hintergrund schon ein bisschen Licht und darüber immer mehr offenen Himmel.
In diesem Hörbuch haben wir uns vorgenommen, die Erzählung „Die Judenbuche“ von Annette von Droste Hülshoff so vorzustellen, dass man damit vier Ziele erreicht werden.
Hier die Hördatei – auf ihr wird das präsentiert, was man hier auch nachlesen kann.
Ziel Nr 1: Überwindung der Distanz zu einer Lektüre
Das für uns oberste Ziel ist, dass man überhaupt bereit ist, sich mit diesem alten Text zu beschäftigen, und vielleicht sogar an der einen oder anderen Stelle ganz entspannt denkt: „O, ist ja eigentlich ganz interessant.“
Denn das sind so kleine Lockerungsübungen und man kommt dann langsam aus der Abwehrhaltung aus. Denn von der hat man ja nichts – außer wachsendem Ärger. Also lieber locker werden.
Das ist auch nötig, denn wir wissen natürlich auch, dass lange Lektüretexte einem erst mal wie ein Dschungel vorkommen, in den man sich gar nicht hinein wagt.
Da ist es dann wichtig, dass man sich zumindest ein bisschen hineintraut und dabei vielleicht sogar die eine oder andere Stelle entdeckt, bei der man sich ein bisschen umsehen kann. So etwas nennt man im Wald eine Lichtung, das ist ein Platz, bei dem man nicht nur viel Grün sieht, sonnen vielleicht sogar ein bisschen Himmel und vor allen Ding die Chance hat, beim nächsten Mal bis zu dieser Stelle schneller voran zu kommen und mehr zu sehen und zu verstehen.
Ziel Nr 2: Überblick über den Inhalt
Das zweite Ziel, das wir verfolgen, ist, dass man eben auch etwas vom Inhalt schon mitbekommt, damit man weiß, worum es geht. Das kann man natürlich auch mithilfe einer Inhaltsangabe schaffen, aber dabei hat man keinen Bezug zum Text. Das ist, wie wenn man mit einem Flugzeug aus großer Höhe einen Urwald überfliegt, natürlich sieht man da einige Dinge, aber man kommt nicht wirklich an den Wald ran.
Ziel Nr 3: Kontaktaufnahme mit dem Text der Lektüre
Das dritte Ziel ist genau das, dass man gewissermaßen Kontakt aufnimmt zu einigen Einzelheiten. Und das sind bei einer Lektüre natürlich bestimmte Textstellen. Und wir wollen helfen, möglichst schnell wichtige Textstellen zu finden und zu verstehen.
Ziel Nr 4: Was zeigen können und sich leicht zurechtfinden können
Damit hat man ganz nebenbei auch noch ein viertes Ziel erreicht – und das ist auch nicht ganz unwichtig: Denn wenn man mit uns zusammen den Text der Lektüre durchgeht, hat man hinterher nicht nur einen Überblick über die wichtigsten Stationen des Inhalts, sondern kann diese Stationen auch ganz schnell mit bestimmten Textbereichen verbinden. Und ganz praktisch: Ein Lehrer, der zu Beginn der Stunde die Lektüre kontrolliert, wird die Schüler schnell in Ruhe lassen, bei denen er markierte Textteile entdeckt.
Zusammenfassung: Was wir alles für euch tun wollen
Also fassen wir noch mal zusammen: mit unserem MP3 Hörbuch bekommt man eine Art Reiseführer auf die Ohren gelegt.
Dieser Reiseführer zeigt einem die wichtigsten inhaltlichen Stellen und macht einen auch schon etwas mit dem Text bekannt.
Damit hat man in kürzester Zeit schon mal eine ganz gute Basis, mit deren Hilfe man im Unterricht recht gut mitarbeiten kann.
Auf jeden Fall hat man sehr viel mehr als diejenigen, die nur Inhaltsangaben oder Interpretationen gelesen haben.
Und dieses erste Netzwerk von Lichtungen kann man dann später sehr leicht ausbauen im Verlaufe des Unterrichts und hat dann für eine Klassenarbeit oder Klausur eine Textausgabe, in der man sich schnell zurecht findet und damit auch gut die entsprechenden Aufgaben bewältigen kann.
Das Folgende kann man als mp3-Datei herunterladen und dann direkt auf die eigene Textvorlage anwenden.
Textgrundlage: von Droste-Hülshoff, Annette. Die Judenbuche: Reclam XL – Text und Kontext (German Edition). Reclam Verlag. Kindle-Version
Das Schöne an der „Judenbuche“ ist, dass man schon beim Betreten des Lektüre-Dschungels auf eine erste Lichtung geführt wird. Eine Stelle, über die man nachdenken kann – und die auch einen Rahmen für alles Kommende bildet. Dieses Gedicht gleich auf Seite 3 (in der Reclam-Ausgabe) spricht eine deutliche Warnung aus.
Es geht in dem Gedicht offensichtlich um einen Menschen, der etwas Schlimmes getan hat. Und jetzt ist nicht gleich die Frage da, wie er bestraft werden sollte. Sondern es geht um Hintergründe für die Taten, für die man ein gewisses Verständnis aufbringen kann.
Da ist in Zeile 2 von „beschränkten Hirnes Wirren“ die Rede, also von der Verwirrung im Kopf eines Täters.
In Zeile 7 geht es um „ein arm verkümmert Sein“, also um einen Menschen, der sich nicht richtig hat entwickeln können.
In Zeile 8 geht es um „eitlen Blutes Drang“: Später werden wir sehen, dass sich das auf die Hauptfigur der Erzählung bezieht, Friedrich Mergel, der so von einem anderen gereizt wird, dass er ihn im Wald in eine falsche Richtung und damit in den Tod schickt.
Und in Zeile 11 ist dann von „Des Vorurteils geheimen Seelendieb“ die Rede – und wir werden sehen, dass auch Vorurteile in der Zeit der Geschichte eine Rolle spielen und zu schlimmen Taten führen.
Nach all diesen Dingen, die man auch berücksichtigen soll, wird dann ab Zeile 12 noch einer drauf gesetzt: Jetzt geht es nicht mehr um den Täter, sondern den Leser als Beurteiler der Taten. Er wird angesprochen als „Du glücklicher“ – und dann geht es um einen Lebensweg in sehr viel besseren Verhältnissen.
Dies alles bringt die Verfasserin oder genauer die Erzählerin zu der Warnung, man solle nicht so schnell mit einem Stein auf den Täter werfen, denn dabei könnte man sich auch selbst treffen.
Insgesamt also ein Gedicht, das jeden ermahnt, nicht zu schnell jemanden zu verurteilen, sondern immer erste mal nachzuschauen oder nachzufragen, was möglicherweise zu einer „Untat“ geführt hat.
An dieser Stelle noch eine allgemeine Information zu dieser Lektüre: Wir haben bisher von einer „Erzählung“ gesprochen, weil wir auf die Gattung noch genauer eingehen sollten: Genauer gesagt, es sich um eine sogenannte Novelle.
Darunter versteht man eine Erzählung, die mehr ist als eine Kurzgeschichte und weniger als ein Roman. Vor allem soll sie eine „Neuigkeit“, also einen interessanten Fall präsentieren – und das darf durchaus ein bisschen spannend, manchmal sogar dramatisch ablaufen.
Dabei spielt häufig ein bestimmter Gegenstand eine große Rolle und in diesem Falle ist es eben die so genannte Judenbuche. Bei ihr wird ein jüdischer Händler erschlagen aufgefunden – und das ist dann das entscheidende Ereignis, auf das alles zuläuft und das auch das Ende der Novelle bestimmt.
Entstanden ist diese Novelle 1842 und das 19. Jahrhundert war eine Zeit, in der Schriftsteller gerne solche häufig recht spannenden Geschichten geschrieben haben. Diese spielt, wie es im Untertitel heißt, im gebirgigen Westfalen, wichtig ist das, weil es eine ziemlich abgelegene Gegend ist, in der die Menschen auch ganz eigene Denkweisen entwickeln, wie wir gleich sehen werden.
Also halten wir fest, bevor es richtig losgeht:
In dieser Novelle geht es um zwei Untaten, bei denen Menschen umkommen.
Und die Hauptfigur, dieser Friedrich Mergel, ist an beiden Taten beteiligt – einmal indirekt und einmal sogar wohl direkt.
Die ganze Novelle will nun diesen Täter nicht entschuldigen, wohl aber erklären, wie es zu zu all dem gekommen ist.
Letztlich ist das wie vor Gericht, wo es nicht nur um die Tat geht, sondern auch um die Verhältnisse, die zu der Tat geführt haben.
Vor allem können wir als Mahnung für uns selbst mitnehmen, dass man bei negativen Urteilen über andere Menschen sehr vorsichtig sein soll. Denn wenn man nicht alles fair berücksichtigt, spricht man sich auch selbst ein Urteil.
Teil 3: Die Welt, in der Friedrich Mergel aufwächst
Hier die mp3-Datei, die die folgenden Infos präsentiert und die man sich gut „auf die Ohren legen“ kann, während man alles in der eigenen Textausgabe verfolgt.
Textgrundlage: von Droste-Hülshoff, Annette. Die Judenbuche: Reclam XL – Text und Kontext (German Edition). Reclam Verlag. Kindle-Version.
Hier wird die Reclam-Ausgabe zugrundegelegt – und zwar in der E-Book-Fassung:
Eben haben wir am Beispiel des Gedichtes am Anfang gesehen, dass die Novelle „Die Judenbuche“ sich bemüht, bei einem Täter nach mildernden Umständen zu forschen – damit es zu einer gerechten Beurteilung kommt.
Nach dem Gedicht kommt es gleich zu einer zweiten „Lichtung“ im Text-Urwald – es wird nämlich beschrieben, in welche Welt der spätere Täter hineinwächst.
Dieser Friedrich Mergel wird 1738 geboren, also vor fast 300 Jahren – und zwar als Sohn eines kleinen Bauern in einem abgelegenen Dorf im östlichen Westfalen.
Das Besondere dort sind die (S.3/4) „Originalität und Beschränktheit, wie sie nur in solchen Zuständen gedeihen. Unter höchst einfachen und häufig unzulänglichen Gesetzen waren die Begriffe der Einwohner von Recht und Unrecht einigermaßen in Verwirrung geraten, oder vielmehr, es hatte sich neben dem gesetzlichen ein zweites Recht gebildet, ein Recht der öffentlichen Meinung, der Gewohnheit und der durch Vernachlässigung entstandenen Verjährung.“
Allerdings merkt man, dass die Erzählerin durchaus eine gewisse Sympathie für die Menschen dort hat:
(S4) „Soviel darf man indessen behaupten, daß die Form schwächer, der Kern fester, Vergehen häufiger, Gewissenlosigkeit seltener waren. Denn wer nach seiner Überzeugung handelt, und sei sie noch so mangelhaft, kann nie ganz zugrunde gehen, wogegen nichts seelentötender wirkt, als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anspruch nehmen.“
4: „Holz- und Jagdfrevel waren an der Tagesordnung, und bei den häufig vorfallenden Schlägereien hatte sich jeder selbst seines zerschlagenen Kopfes zu trösten.“
Das Dort B., in dem Friedrich Mergel aufwächst, (S4) „galt für die hochmütigste, schlauste und kühnste Gemeinde des ganzen Fürstentums.“ Hervorgehoben wird, dass „bei den häufig vorkommenden Scharmützeln der Vorteil meist auf seiten der Bauern blieb.“
Also halten wir fest: Eine abgelegene Gegend mit eigenen Vorstellungen von Recht und Gesetz, im ständigen Kampf gegen die Förster als Vertreter der Ordnung – und meistens erfolgreich.
Teil 4: Die Familie, in die Friedrich hineingeboren wird
S. 6: „Friedrichs Vater, der alte Hermann Mergel, war in seinem Junggesellenstande ein sogenannter ordentlicher Säufer, d.h. einer, der nur an Sonn- und Festtagen in der Rinne lag und die Woche hindurch so manierlich war wie ein anderer.“
Noch auf S. 6: Die erste Frau behandelt dieser Mann so schlecht, dass sie schreiend davon läuft. Einige Zeit später versucht eine Frau, die sich für sehr Durchsetzungsstark hält, diesen Mann gewissermaßen auf den richtigen Weg zu bringen, aber auch das misslingt und so wächst Friedrich Merkel in einem ziemlich kaputten Elternhaus und in ärmlichen Verhältnissen auf.
Aber als der Vater dann eines Tages tot aufgefunden wird, wird auf S. 11 doch deutlich, dass dieser Vater für Friedrich nicht nur negativ war: „Überhaupt hatte die Erinnerung an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm zurückgelassen, wie denn nichts so fesselt, wie die Liebe und Sorgfalt eines Wesens, das gegen alles Übrige verhärtet scheint, und bei Friedrich wuchs dieses Gefühl mit den Jahren, durch das Gefühl mancher Zurücksetzung von seiten anderer. Es war ihm äußerst empfindlich, wenn, solange er Kind war, jemand des Verstorbenen nicht allzu löblich gedachte; ein Kummer, den ihm das Zartgefühl der Nachbarn nicht ersparte.“
Insgesamt erklärt sich so, „warum Friedrich sich von der Gemeinschaft eher fern hält und ein eigenes Leben führt.“
Teil 5: Friedrich gerät unter den Einfluss seines Onkels
Hier die mp3-Datei, in der das Folgende präsentiert wird. Man kann es dann direkt in der eigenen Textausgabe verfolgen.
Im ersten Teil der Novelle „Die Judenbuche“ ging es um die Welt, in die Friedrich Mergel hinein geboren wird. Sie ist vor allem bestimmt dadurch, dass sie sehr abgelegen ist und die Menschen dort ganz eigene Vorstellungen von Recht und Unrecht haben.
Im zweiten Teil ging es um die Familie, in die dieser junge Mensch hinein kommt. Der Vater ist jemand, der sich regelmäßig am Wochenende betrinkt. Die erste Frau ist gleich wieder weglaufen, die zweite hält mühsam mit ihm aus.
Der kleine Friedrich bekommt dann erstaunlicherweise von diesem Mann noch etwas Liebe, allerdings verliert er den Vater bald durch einen plötzlichen Tod im Wald. Weil er offensichtlich wieder mal betrunken war, wird er bald wie ein Gespenst im Dorf behandelt. Sein Sohn verteidigt ihn allerdings immer, wenn so was erwähnt wird.
Dafür spielt sein Onkel, der Bruder der Mutter bald eine wichtige Rolle. Er wird auf S. 11 als ein “unheimlicher Geselle” beschrieben, der sich immer so verhalten kann, wie es für ihn und seine Geschäfte am besten ist.
Er ist auch schnell mal in Streitigkeiten verwickelt, so dass man ihm gerne aus dem Weg geht. Seinen Neffen hält er allerdings für “schlau” und für etwas Besonderes, der auch eigene Wege geht.
So kommt es, dass er mit seiner Mutter ausmacht, dass er ab jetzt über den Sohn verfügen kann, ihn gewissermaßen in die Lehre nimmt.
Auf dem Weg zu ihm wird viel im Hinblick auf Friedrich und seine Zukunft deutlich.
14: “Friedrich ihm nach, fein und schlank für sein Alter, mit zarten, fast edlen Zügen und langen blonden Locken, die besser gepflegt waren, als sein übriges Äußere erwarten ließ;
übrigens zerlumpt, sonneverbrannt und mit dem Ausdruck der Vernachlässigung und einer gewissen rohen Melancholie in den Zügen.
Dennoch war eine große Familienähnlichkeit beider nicht zu verkennen,
und wie Friedrich so langsam seinem Führer nachtrat, die Blicke fest auf denselben geheftet, der ihn gerade durch das Seltsame seiner Erscheinung anzog, erinnerte er unwillkürlich an jemand, der in einem Zauberspiegel das Bild seiner Zukunft mit verstörter Aufmerksamkeit betrachtet.”
Übrigens ist die erste Frage des Onkels auf S. 15, ob er schon Branntwein getrunken hat – das scheint er für selbstverständlich zu halten – auf jeden Fall hat der Leser hier schon den Eindruck, dass das nicht unbedingt die beste Erziehung für den Jungen ist.
Teil 6: Der Tod des Oberförsters
Hier zunächst die zugehörige mp3-Datei.
Nachdem wir nun geklärt haben, in welcher Welt, in welchen familiären Verhältnissen und geprägt von welchem Menschen dieser Friedrich Mergel aufgewachsen ist, kommen wir zur ersten verhängnisvollen Entscheidung seines Lebens.
Auf der Seite 22 ist die Rede davon, dass eine neue Bande von Holzdieben, genannt die „Blaukittel“, in den Wäldern ihr Unwesen treibt und das auf besonders professionelle Art und Weise tut.
Friedrich, der mal wieder im Gelände das Vieh hütet, verhält sich anscheinend verdächtig, jedenfalls wird er vom Oberförster, der mit seinen Leuten versucht die Holzdiebe zu jagen, zur Rede gestellt. Dabei kommt es zu einem verhängnisvollen Wortwechsel, den man auf Seite 25 nachlesen kann:
Auf die Frage: „Hast du nichts im Walde gehört?“ antwortet Friedrich ausweichend: „Im Walde?“ und behauptet dann „Eure Holzfäller, sonst nichts.“
Der Oberförster glaubt ihm das nicht und wird zunehmend wütend. Im Text heißt es: „Die ohnehin dunkle Gesichtsfarbe des Försters ging in tiefes Braunrot über. „Wie viele sind ihrer, und wo treiben sie ihr Wesen?“ – „Wohin Ihr sie geschickt habt; ich weiß es nicht.“– Brandis wandte sich zu seinen Gefährten: „Geht voran; ich komme gleich nach.“
Man merkt hier deutlich, dass der Oberförster jetzt mit dem Jungen allein sein will.
„Als einer nach dem andern im Dickicht verschwunden war, trat Brandis dicht vor den Knaben: ‚Friedrich,‘ sagte er mit dem Ton unterdrückter Wut, ‚meine Geduld ist zu Ende; ich möchte dich prügeln wie einen Hund, und mehr seid ihr auch nicht wert. Ihr Lumpenpack, dem kein Ziegel auf dem Dach gehört! Bis zum Betteln habt ihr es, gottlob, bald gebracht, und an meiner Tür soll deine Mutter, die alte Hexe, keine verschimmelte Brodrinde bekommen. Aber vorher sollt ihr mir noch beide ins Hundeloch!’“
Angesichts dieser ungeheuerlichen Beschimpfung ist Friedrichs Reaktion nicht verwunderlich:
„Friedrich griff krampfhaft nach einem Aste. Er war totenbleich und seine Augen schienen wie Kristallkugeln aus dem Kopfe schießen zu wollen.“
Doch dann zeigt sich, was Friedrich von seinem Onkel schon gelernt hat, nämlich sich jeder Situation anzupassen und das Beste für sich draus zu machen. So heißt es im Text im Hinblick auf seinen Zorn:
„Doch nur einen Augenblick. Dann kehrte die größte, an Erschlaffung grenzende Ruhe zurück. – ‚Herr,‘ sagte er fest, mit fast sanfter Stimme; „Ihr habt gesagt, was Ihr nicht verantworten könnt, und ich vielleicht auch. Wir wollen es gegeneinander aufgehen lassen, und nun will ich Euch sagen, was Ihr verlangt.'“
Und dann schickt der immer noch empörte Junge den Beamten in eine Richtung, die ihm den Tod bringt. Jedenfalls wird er kurz darauf erschlagen aufgefunden (Seite 28).
Im anschließenden Gerichtsprozess kann man dem Jungen aber nichts nachweisen (Seite 32).
Spannend wird es dann noch einmal auf Seite 34, als Friedrich seinem Onkel erklärt, dass er zur Beichte gehen wolle:
„‚Ich habe schwere Schuld,‘ seufzte Friedrich, ‚dass ich ihn den unrechten Weg geschickt – obgleich – doch, dies hab‘ ich nicht gedacht, nein, gewiß nicht. Ohm, ich habe Euch ein schweres Gewissen zu danken.*“
Man merkt hier deutlich, wie Friedrich mit sich und seiner Schuld ringt: Er gibt offen zu, was er falsch gemacht hat, deutlich wird aber auch, dass er den Tod des Oberförsters wohl nicht wollte.
Der Onkel reagiert darauf auf eine raffinierte Weise:
„– ‚So geh, beicht!‘ flüsterte Simon mit bebender Stimme; ‚verunehre das Sakrament durch Angeberei und setze armen Leuten einen Spion auf den Hals, der schon Wege finden wird, ihnen das Stückchen Brod aus den Zähnen zu reißen, wenn er gleich nicht reden darf – geh!’“
Das heißt, er tut so, als ob sein Neffe eine Sünde begehen würde, wenn er die Wahrheit sagt. Vor allem aber setzt er auf die Mitleidstour, inem er sich zu den „armen Leuten“ zählt, denen Unrecht geschehen würde, wenn es ihnen an den Kragen geht. Denn alles spricht dafür, dass dieser Onkel mit den Blaukitteln im Bunde steht.
Am Ende setzt sich der Onkel durch:
„ – Friedrich stand unschlüssig; er hörte ein leises Geräusch; die Wolken verzogen sich, das Mondlicht fiel wieder auf die Kammertür: sie war geschlossen. Friedrich ging an diesem Morgen nicht zur Beichte.“
So bleibt seine Schuld auf ihm – es zeigt sich aber bald, dass ihn das nicht lange beschäftigt. Dafür gerät er in einem zweiten Fall noch eindeutiger in Schuld. Hier hat er den Tod des Beamten ja wohl nicht gewollt – beim nächsten Mal wird er aber zum Mörder – mit verhängnisvollen Folgen auch für ihn selbst.
„Die Judenbuche“, Teil 7: Der Mord an der Judenbuche
Wie immer hier zunächst die mp3-Datei, die alles enthält, was man weiter unten auch nachlesen kann.
Friedrichs negative Veränderung
Bei der Begegnung mit dem Oberförster im Wald ist Friedrich das erste Mal schuldig geworden. Er hat zwar nicht gebeichtet, aber er lässt das Gefühl der Schuld, dass er den Beamten letztlich in den Tod geschickt hat, bald hinter sich.
Auf S. 35 wird dann genauer erklärt, wie das kommt und wohin das führt:
„Wer zweifelt daran, dass Simon alles tat, seinen Adoptivsohn dieselben Wege zu leiten, die er selber ging? Und in Friedrich lagen Eigenschaften, die dies nur zu sehr erleichterten: Leichtsinn, Erregbarkeit, und vor allem ein grenzenloser Hochmut, der nicht immer den Schein verschmähte, und dann alles daran setzte, durch Wahrmachung des Usurpierten möglicher Beschämung zu entgehen. Seine Natur war nicht unedel, aber er gewöhnte sich, die innere Schande der äußern vorzuziehen. Man darf nur sagen, er gewöhnte sich zu prunken, während seine Mutter darbte.”
Friedrichs Auftritt während einer Hochzeitsfeier
Das wird ihm kurz darauf zum Verhängnis und führt zu einer weiteren, noch schlimmeren Untat.
Auf einer Hochzeitsfeier heißt es unten auf Seite 36: „ Friedrich stolzierte umher wie ein Hahn, im neuen himmelblauen Rock, und machte sein Recht als erster Elegant geltend.“ D.h. er spielt mal wieder die Rolle des jungen Menschen im Dorf, auf den alle schauen sollen.
Die Peinlichkeit des Butterdiebstahls
Auf Seite 38 gerät dieses Image aber sehr in Gefahr.
Denn sein Schützling Johannes wird beim Diebstahl von Butter erwischt. Er ist so dumm gewesen, sich ein Stück einfach in die Jackentasche zu stecken und bei der Wärme ist die Butter geschmolzen und auf den Boden getropft. Friedrich gibt ihm zur Strafe zwar ein paar Ohrfeigen und schmeißt ihn raus, aber, wie es im Text auf Seite 38 heißt: „… seine Würde war verletzt, das allgemeine Gelächter schnitt ihm durch die Seele.“
Friedrichs Versuch, sein Ansehen mit einer silbernen Taschenuhr zu retten
Friedrich versucht jetzt, die anderen dadurch zu beeindrucken, dass er ganz nebenbei eine silberne Taschenuhr herausholt. Dies führt aber nur zu einem kurzen Dialog mit seinem Rivalen Wilm, der sich nach dem Preis erkundigt. Friedrich meint, darauf einfach mit der Gegenfrage kontern zu können: „Willst du sie bezahlen? Und muss dann gleich schweigend den Gegenschlag hinnehmen: „Hast du sie bezahlt?“
Dann kommt es noch schlimmer, denn sein Gegner fährt fort: „… dergleichen hat man schon erlebt. Du weißt wohl, der Franz Ebel hatte auch eine schöne Uhr, bis der Jude Aaron sie ihm wieder abnahm.“
Friedrich antwortet darauf gar nicht, sondern verlässt kurz den Tanzsaal. Kurz darauf heißt es im Text, dass er die Gesellschaft sogar ganz verlassen hat – und es folgt die Erklärung:
Der Gipfel der Schande – Friedrichs Angeberei wird entlarvt
S. 39: „Eine große, unerträgliche Schmach hatte ihn getroffen, da der Jude Aaron, ein Schlächter und gelegentlicher Althändler aus dem nächsten Städtchen, plötzlich erschienen war, und nach einem kurzen, unbefriedigenden Zwiegespräch ihn laut vor allen Leuten um den Betrag von zehn Talern für eine schon um Ostern gelieferte Uhr gemahnt hatte.
Friedrich war wie vernichtet fortgegangen und der Jude ihm gefolgt, immer schreiend: ‚O weh mir! Warum hab‘ ich nicht gehört auf vernünftige Leute! Haben sie mir nicht hundertmal gesagt, Ihr hättet all Eur Gut am Leibe und kein Brot im Schranke!‘“
Der Mord an Aaron und die Inschrift an der „Judenbuche“
Kurz darauf wird der Jude tot im Wald gefunden – Friedrich gerät natürlich sofort in Verdacht, aber es kommt zu keinem Prozess, weil er mit seinem Schützling Johannes rechtzeitig verschwunden ist.
Dafür zeigen aber die Juden der Umgebung, wie es auf S. 45 heißt, „großen Anteil“. Sie wenden sich an den Gutsherrn und erreichen, dass die Buche, unter der Aaron gefunden worden ist, von ihnen gekauft werden kann und auf jeden Fall stehen bleiben kann – mit samt einer Inschrift in hebräischer Sprache, deren Bedeutung dem Leser erst mal nicht erklärt wird.
Im Schlussteil der Novelle „Die Judenbuche“ wird das Verwirrspiel um die Schuld Friedrich Mergels noch einem, Höhepunkt zugeführt.
Wer sich das Folgende „auf die Ohren“ legen will, während er in seiner Textausgabe sich Notizen macht, der kann die folgende mp3-Datei nutzen:
Rückblick auf das Halbdunkel der Schuldfrage
Schon beim Tod des Oberförsters gab es eine Art Halbdunkel, was Friedrichs Untat angeht, aber dessen Bemühen um Beichte schafft Klarheit über seine Schuld. Sein Onkel kann ihn zwar vom Schuldbekenntnis abhalten, bei dem er und seine Beziehung zu den Holzräubern auch deutlich geworden wäre. Aber Friedrich hat ganz deutlich gemacht, dass er dem Oberförster einen falschen Weg angegeben hat, auch wenn er anscheinend seinen Tod nicht wollte.
Nach der Ermordung des Juden Aaron und Friedrichs Flucht gibt es dann auch noch einen besonderen Entlastungshinweis für Friedrich. Denn der Gutsherr erzählt allen, dass ein anderer Mann den Mord an Aaron gestanden habe. Leider habe er sich aber aufgehängt, bevor man Näheres prüfen konnte.
Das letzte Verwirrspiel: Der Spätheimkehrer
Dann gibt es 28 Jahre Pause, bis plötzlich ein Mann, abgemagert und in schlechter Kleidung erscheint. Alle halten ihn für Johannes und er selbst tut alles, um das wahr erscheinen zu lassen.
Dann zwei Hinweise, dass dieser angebliche Johannes in Wirklichkeit wohl Friedrich ist:
„Man fragte ihn, warum Friedrich sich denn aus dem Staube gemacht, da er den Juden doch nicht erschlagen? – ‚Nicht?‘ sagte Johannes und horchte gespannt auf, als man ihm erzählte, was der Gutsherr geflissentlich verbreitet hatte, um den Fleck von Mergels Namen zu löschen. ‚Also ganz umsonst,‘ sagte er nachdenkend, ‚ganz umsonst so viel ausgestanden!‘ Er seufzte tief und fragte nun seinerseits nach manchem.“
Hier fällt doch auf, wie groß das Empfinden bei dem Mann ist. Das passt besser zum eigentlichen Verdächtigen von damals als zu einem, der selbst nichts damit zu tun hatte.
Friedrich richtet sich selbst
Als Johannes dann einmal verschwunden ist, ist der Gutsherr sehr besorgt: „Seine Unruhe trieb ihn sogar nach Johannes‘ Wohnung, obwohl er sicher war, ihn dort nicht zu finden. Er ließ sich die Kammer des Verschollenen aufschließen. Da stand sein Bett noch ungemacht, wie er es verlassen hatte; dort hing sein guter Rock, den ihm die gnädige Frau aus dem alten Jagdkleide des Herrn hatte machen lassen; auf dem Tische ein Napf, sechs neue hölzerne Löffel und eine Schachtel. Der Gutsherr öffnete sie; fünf Groschen lagen darin, sauber in Papier gewickelt, und vier silberne Westenknöpfe; der Gutsherr betrachtete sie aufmerksam. ‚Ein Andenken von Mergel,‘ murmelte er und trat hinaus, denn ihm ward ganz beengt in dem dumpfen, engen Kämmerchen.“ Anscheinend ahnt er etwas, was dann Wirklichkeit wird.
Man sucht überall und findet schließlich auch jemanden, der sich direkt an einem Ast der sogenannten Judenbuche aufgehängt hat. Alle glauben, dass es der verschwundene Johannes ist, aber der Gutsherr erkennt ihn als Friedrich.
Der hat sich bezeichnenderweise selbst genau dort umgebracht, wo er damals Aaron umgebracht hat. Es heißt ja auch, dass es einen Täter immer wieder an den Ort der Tat zieht.
Jetzt erfährt der Leser auch, was in den Stamm der Judenbuche eingeritzt worden ist: “Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast.“
Rückkehr zum Ausgangspunkt: Die Mahnung des Gedichtes
Das ist jetzt eine gute Gelegenheit, noch mal zum Ausgangspunkt der Novelle zurückzukehren. Dort ist es ja in dem Gedicht auch um den Umgang mit einem Täter und seiner Schuld gegangen. Und wir sind als Leser ermahnt worden, nicht vorschnell zu urteilen – oder zumindest auch Dinge zu berücksichtigen, die eine Tat nicht entschuldigen, wohl aber etwas verständlicher machen.
Da war zunächst von „beschränkten Hirnes Wirren“ die Rede, also von der Verwirrung im Kopf eines Täters. Hier muss man sicher feststellen, dass dieser Friedrich kein dummer Mensch ist, wohl aber einer, der sich anscheinend wohl leicht verführen lässt, weil er eben mehr sein will, als seine Herkunft ihm ermöglicht.
Damit sind wir auch schon bei der Formulierung „ein arm verkümmert Sein“. Tatsächlich ist Friedrich ein Menschen, der sich nicht richtig hat entwickeln können.
Dann wird es im Gedicht noch spezieller, wenn es um „eitlen Blutes Drang“ geht. Hier haben wir schon darauf hingewiesen, das das vor allem beim Tod des Oberförsters eine Rolle gespielt hat. Denn der hat Friedrich wirklich bis auf Blut mit seinen Beschimpfungen gereizt. Beim Juden Aaron ist das anders: Hier ist es wohl das Gelächter der Gesellschaft, das ihn bis aufs Blut reizt und dann zum Mord aus Rache führt, auch wenn dieser Aaron ja nur sein Recht gefordert hat.
Und dann ist da noch von „Des Vorurteils geheimen Seelendieb“. Vorurteile gegenüber den Juden werden zwar an einigen Stellen der Novelle angesprochen, vor allem von der Mutter. Aber die spielen direkt wohl keine Rolle. Das, was Friedrich auf der Hochzeitsfeier als Schande empfindet, das hätte auch von einem anderen verursacht werden können. Vielleicht war der schon recht alte Jude aber auch wegen der allgemeinen Vorurteile für Friedrich ein leichteres Opfer.
Am Ende bleibt die Mahnung, dass man sehr vorsichtig sein sollte mit der Verurteilung anderer Menschen. Auf jeden Fall sollte man nicht vorschnell und ohne Berücksichtigung der näheren Umstände einer Tat urteilen.
Weiterführender Hinweis:
Wer jetzt noch tiefer einsteigen will in die Novelle, der findet hier eine Übersicht über unsere genauere Vorstellung der einzelnen Teile:
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