Vorab-Kritik: Ein Schnellschuss?
Ausnahmsweise beginnen wir die Interpretation eines Gedichtes tatsächlich mit einem persönlichen Bekenntnis, weil wir viel gelitten haben.
Wir haben eine hohe Meinung von Gedichten und besonders auch von Eichendorff. Wir wissen aber auch, dass jeder Mensch und damit auch jeder Schriftsteller Höhen und Tiefen kennt.
Also stellen wir hier einfach mal die These auf, dass dieses Gedicht unseren Ansprüchen nicht so recht genügen kann. Wir können uns des Gefühls nicht erwehren, dass das Gedicht ein bisschen „hingeklatscht“ ist, sehr nach einem Schnellschuss aussieht.
Nun haben auch solche Gedichte ihre Berechtigung – das ändert aber nichts an der Enttäuschung derer, die von ihren Mitmenschen und damit auch von Schriftstellern mehr erwarten.
So, jeder kennt nun unsere Vor-Urteile gegenüber diesem Gedicht. Und damit gibt es auch eine gute Grundlage, das selbst zu prüfen und uns ggf. zu widersprechen.
Unsere Sicht auf das Gedicht
Joseph von Eichendorff
Überschrift und 1. Strophe
Rückkehr
01 Wer steht hier draußen? — Macht auf geschwind!
02 Schon funkelt das Feld wie geschliffen,
03 Es ist der lustige Morgenwind,
04 Der kommt durch den Wald gepfiffen.
- Das Gedicht beginnt mit einer etwas unklaren Kommunikationssituation.
- Am Anfang steht eine Frage, die nur aus dem Inneren eines Hauses kommen kann. Die Antwort wiederum kann hier nur von jemanden kommen, der draußen steht und rein will.
- Dann gibt es drei Sprecher-Hinweise, die die Welt draußen sehr positiv darstellen, es geht um die Schönheit der Natur, die auch aus der menschlichen Perspektive mit einer positiven Geisteshaltung verbunden wird. Dazu kommt beim Wind das Element der Geschwindigkeit.
- Wenn man das hermeneutische Modell anwendet und sich fragt, wie es mit dem Verständnis des Gedichtes am Ende der ersten Strophe aussieht, weiß man hier noch nicht so richtig, woran man ist.
- Man könnte glauben, dass draußen jemand steht, der einen zum Aufbruch, zum Beispiel zu einer Wanderung aufruft. Dagegen spricht aber natürlich die Überschrift „Rückkehr“.
2. Strophe
05 Ein Wandervöglein, die Wolken und ich,
06 Wir reis’ten um die Wette,
07 Und jedes dacht‘: nun spute dich,
08 Wir treffen sie noch im Bette!
- Die zweite Strophe präsentiert dann eine Art Rückblick auf eine intensive Reisetätigkeit.
- Verbunden wird das mit dem Aspekt der Schnelligkeit, fast schon der Rastlosigkeit. Aus irgendeinem Grunde will das lyrische ich Irgendwelche anderen Leute überraschen, die nicht so früh auf sind wie es selbst.
3. Strophe
09 Da sind wir nun, jetzt alle heraus,
10 Die drinn noch Küsse tauschen!
11 Wir brechen sonst mit der Tür in’s Haus:
12 Klang, Duft und Waldesrauschen.
- In dieser Strophe wird dem Leser nun das Ziel dieses schnellen Aufbruchs präsentiert, nämlich irgendwelche anderen Menschen, die eher noch mit der Liebe beschäftigt sind.
- Verbunden wird das mit einer wahrscheinlich freundlich gemeinten Bereitschaft auch zur Gewalttätigkeit, wenn die Tür nicht schnell genug geöffnet wird.
- Die Schlusszeile präsentiert dann einfach drei schöne Aspekte, die mit dem Wandern verbunden sind.
4. Strophe
13 Ich komme aus Italien fern
14 Und will Euch alles berichten,
15 Vom Berg Vesuv und Roma’s Stern
16 Die alten Wundergeschichten.
- Diese Strophe passt dann am besten zur Überschrift, weil das lyrische Ich sich dort tatsächlich in die Situation eines Rückkehrers versetzt.
- Es geht um das Sehnsuchtsland der Deutschen, von dem es berichten will, und schöne Örtlichkeiten werden dann gleich auch im romantischen Sinne mit alten „Wundergeschichten“ in eine Beziehung gesetzt – oder so verbunden.
5. Strophe
17 Da singt eine Fey auf blauem Meer,
18 Die Myrthen trunken lauschen —
19 Mir aber gefällt doch nichts so sehr,
20 Als das deutsche Waldesrauschen!
- Die letzte Strophe geht dann in den ersten beiden Zeilen auf typisch romantische Motive und Gefühle ein,
- macht aber dann in den letzten beiden Zeilen deutlich, dass es mehr an der deutschen Heimat hängt, mit Betonung der Bedeutung des Waldes.
Zusammenfassung
- Insgesamt ein irgendwie sehr unstrukturiert wirkendes Gedicht, dessen Bestandteile man nur mühsam zu einem zusammenhängenden Inhalt verarbeiten kann.
- Nicht ungefähr wird diesem Gedicht bei weitem nicht die Bedeutung zugesprochen, wie sie das andere Gedicht mit dem gleichen Titel von Eichendorff hat.
- Insgesamt zeigt das Gedicht ein Nebeneinander von typisch romantischen Motiven und ein bisschen Fernweh, um am Ende dann ganz eindeutig eine Priorität zu setzen.
- Sehr bedauerlich ist, dass die Schlusspointe in keiner Weise aus dem Gedicht heraus motiviert wirkt und auch ansonsten nicht weiter begründet wird.
- So bleibt beim Leser der Eindruck eines etwas gedankenarmen Schnellschusses. Gerade der Vergleich mit dem anderen Rückkehr-Gedicht zeigt, wozu Eichendorff wirklich fähig ist.
Vergleich mit Grünbein, „Kosmopolit“
Im Rahmen des Abiturs 2020 war das Gedicht von Eichendorff, mit einem von Grünbein zu vergleichen.
Wir haben es hier behandelt.
Ohne darauf genauer eingehen zu wollen, haben wir den Eindruck, dass beide zum gleichen Ergebnis kommen, dass nämlich die echte Welt zunächst oder überhaupt die ist, in der man aufgewachsen ist.
Eichendorff begründet das nur nicht näher, während Grünbein ausführlich, wenn auch in zum Teil schwierigen Bildern auf die Probleme hinweist, wenn man zwar zwischen verschiedenen Welten pendelt, allerdings ohne wirklich auch dort heimisch zu werden.
Weiterführende Hinweise
- Weitere Beispiele für erfolgreiches Verstehen von Gedichten finden sich hier.
- Weitere Beispiel für Gedichte zum Thema „Reisen“, „Unterwegssein“ oder auch „Fremdsein“: hier
- Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
- Eine Übersicht über unsere Videos auf Youtube gibt es hier.