Gedichte zum Thema „Reisen“, „Unterwegssein“, Fremde

Wir sammeln hier Gedichte, in denen es um

  • das Reisen bzw. Unterwegssein geht oder auch
  • um das Fremdsein, ganz gleich, in welchem Zusammenhang.

Folgende Gedichte haben wir aufgenommen:

Kirsch, Sarah: „Fluchtpunkt“

Klage über die Defizite heutigen Reisens

Im Folgenden erläutern wir den Inhalt und die Aussage eines Gedichtes von Sarah Kirsch aus dem Jahr 1982, in dem beklagt wird, dass wir die die Welt heute nur noch durchrasen. Dabei übersehen wir manches, was auf den ersten Blick hässlich zu sein scheint, sich dann aber durchaus als Paradies entpuppen kann.

Aus urheberrechtlichen Gründen können wir das Gedicht hier nicht abdrucken, wir gehen davon aus, dass es vorliegt.

Die Überschrift – als erstes Verständnis-Signal

Sarah Kirsch: Fluchtpunkt

  1. Wie immer, lohnt es sich besonders bei nicht ganz klaren Überschriften über die Möglichkeiten nachzudenken, was damit gemeint sein könnte.
  2. Am ehesten ist mit einem Fluchtpunkt wohl ein Ort gemeint, zu dem man hin fliegt, vielleicht auch im optischen Bereich etwas, was man fast ins Auge fasst. Flucht hat ja wohl im Baugewerbe auch die Bedeutung einer geraden Linie. Etwas ist nicht in der Flucht.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Flucht_(Begriffskl%C3%A4rung)
  3. Aber natürlich kann auch ein Fluchtpunkt die Stelle sein, von der man aus ins Rettende abspringt.

Vergleich zwischen früher und heute

  1. Bei den ersten vier Zeilen geht es um den Gegensatz oder die Weiter-Entwicklung zwischen den Reisemöglichkeiten früherer Zeiten und den heutigen Verhältnissen.
  2. Schade ist, dass nur sehr kurz mit Heine auf einen berühmten Dichter des 19. Jahrhunderts eingegangen wird, ohne dass dazu etwas Näheres gesagt wird. Das ist nicht ganz fair gegenüber Lesern, die mit diesem Namen nicht viel anfangen können. Und Gedichte haben wir nicht die primäre Funktion, die Leute erst mal in Bibliotheken zu schicken, um mögliche Anspielungen zu durchschauen.
    Von daher: Man muss sich hier ernsthaft die Frage stellen, ob es in diesem Falle nicht gereicht hätte, einfach von „früher“ zu sprechen. Aber vielleicht war die Autorin gerade in einem Heine-Seminar gewesen und hat nicht an spätere und andere Leser gedacht.
  3. Deshalb bleiben wir auch hier unabhängig von dem Namen bei dem Unterschied der langsamen Fortbewegung früherer Zeiten mit viel größeren Wahrnehmungsmöglichkeiten, was die Umgebung angeht, und der heutigen Art des Durchfahrens, bei dem man kaum noch etwas wahrnimmt.

Der heutige Reisende als Sklave der Maschinen

  1. Die nächsten acht Zeilen gehen dann genauer auf die heutige Art des Reisens ein. Es ist im wesentlichen von einer Art springen gekennzeichnet, bei dem die einzelnen Bodenberührungen kaum noch eine Rolle spielen.
  2. Gut gemacht ist sicherlich die Verbindung von den Einzelheiten und dem Wort „aufhalten“. Denn dadurch wird deutlich gemacht, dass etwas, was bei jedem genauen Blick von großer Bedeutung ist, hier als Hindernis empfunden wird, das man schnell hinter sich lässt.
  3. Interessant dann der Hinweis auf die Maschinen, deren Sklave man als Mensch gewissermaßen geworden ist. Hier ist sicherlich an entsprechende Fortbewegungsmittel vom Auto über die Eisenbahn bis zum Flugzeug zu denken.
  4. Sehr schön dann noch das Bild der Expedition für das nähere Kennenlernen anderer Menschen. Die werden hier als Ort des Abenteuers verstanden, in das vor allem im 19. Jahrhundert die Forscher mit großer Begeisterung aufbrachen.
  5. Interessant wie mit „Schutthalden Irrgärten schönen Gefilde “ ganz unterschiedliche Dinge miteinander verbunden werden. Was auffällt, ist die Steigerung ins Positive hinein. Damit soll wohl angedeutet werden, dass etwas, was zunächst wie eine Schutthalde aussieht, dann zum Irrgarten wird und schließlich zu einem Gefilde, also einer schönen Gegend.
  6. Der eine oder andere wird vielleicht an dieser Stelle erinnert werden an die Lebens- und Wohnverhältnisse in südlichen Ländern, wo sich hinter unscheinbaren Fassaden wahre Paradies entdecken lassen. Die werden heutzutage schnell und leicht übersehen.

Fazit:

  1. Die letzten vier Zeilen sind dann schon recht originell und laden zum Nachdenken ein.
  2. Mit ersten Zeile ist wohl gemeint, dass die Kellner die „Nachrichten“ (Zeitung als altes Wort für Neuigkeit, vgl. Newspaper) der Gäste nicht brauchen.
  3. Statt auf das neugierig zu sein, was die Gäste selbst gesehen bzw. erlebt haben, verlassen sich die Kellner lieber auf das Fernsehen und damit das, was sehr viele Menschen in gleicher Weise erreicht.
  4. Auf den ersten Blick seltsam mag der Vergleich zwischen Autos und Menschen wirken. Aber gemeint damit ist wohl, dass man bei Autos mehr auf Individualität und Eigentümlichkeit achtet als bei Menschen die alle irgendwie sich zumindest gleich verhalten und besonders auch das gleiche im Kopf haben.
  5. Die letzte Zeile bringt dann das Unwohlsein des lyrischen Ichs auf den Punkt.
  6. Es möchte anscheinend Originelles, Besonderes, wie man es früher auf Reisen erfahren konnte, und findet jetzt überall nur noch das gleiche.
  7. Hier wird man erinnert an das Gedicht von Durs Grünbein über den Kosmopolitismus.
    https://wvm.schnell-durchblicken3.de/durs-gruenbein-kosmopolit-titelfrage/

Abschließende Einschätzung des Gedichtes

  1. Insgesamt ein Gedicht, das immerhin schon im Jahre 1982 auf große Probleme der modernen Welt verweist,.
  2. Dabei werden aber zwei Probleme miteinander vermischt, nämlich das Problem der Reisenden, die nicht genügend wahrnehmen, und andererseits die Gleichförmigkeit der Dinge.
  3. Hier taucht am Ende die Frage auf, ob das lyrische Ich wirklich echte Gleichförmigkeit beklagt oder nur eine unzureichende Wahrnehmung, die diesen Eindruck hervorruft. Das wäre dann ganz anders als bei dem Gedicht von Durs Grünbein.

Weiterführende Hinweise

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Holz, Arno, „Drei kleine Straßen“

Arno Holz

Drei kleine Strassen
mit Häuserchen wie aus einer Spielzeugschachtel
münden auf den stillen Marktplatz.
Der alte Brunnen vor dem Kirchlein rauscht,
die Linden duften.
Das ist das ganze Städtchen.
Aber draussen,
wo aus einem blauen, tiefen Himmel Lerchen singen,
blinkt der See und wogen Kornfelder.
Mir ist Alles wie ein Traum.
Soll ich bleiben? Soll ich weiterziehn?
Der Brunnen rauscht . . . die Linden duften.

  1. Das Gedicht besteht im wesentlichen aus drei Teilen:
    1. Im ersten Teil wird eine Art Kleinstadt-Idylle geschildert, der wird im zweiten Teil dann aber nicht etwa die große weite Welt mit ihren Metropolen entgegengestellt, sondern die Welt der Natur.
    2. Der letzte Teil setzt einmal den Akzent, dass das lyrische Ich hier in einen besonderen Zustand gerät, der weniger etwas mit nüchterner Überlegung als mit Träumen zu tun hat.
  2. Man kann davon ausgehen, dass hier reale oder auch vorgestellte Impressionen in erster Linie Gefühle auslösen. Überhaupt könnte man prüfen, inwieweit dieses Gedicht bis dahin die Kennzeichen des Impressionismus aufweist, indem einfach Eindrücke nebeneinander gestellt werden.
  3. Am Ende steht dann die Frage, ob das lyrische Ich in diesem kleinen Städtchen bleiben oder weiter ziehen Arno Holz. Offensichtlich ist es in fast romantischer Weise auf einer Wanderung.
  4. Bezeichnenderweise endet das Gedicht mit zwei Impressionen, die für die in Teil eins und Teil zwei angedeuteten Welten stehen und noch einmal verdeutlichen, was die Frage schon ausgedrückt hat.

Weiterführende Hinweise

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Zydek, Ute, „Eine Heimat nicht gefunden“

Aus urheberrechtlichen Gründen können wir das Gedicht hier nicht abdrucken, wir gehen davon aus, dass es vorliegt.

  1. Das Gedicht präsentiert gleich zu Beginn eine Situation, in der jemand seit langer Zeit auf der Flucht ist. Wir erfahren nichts Näheres darüber, wovor geflohen wurde.
  2. Entscheidend ist, dass der Betreffende nach dem Verlassen der Heimat keine neue gefunden hat.
  3. Die nächsten drei Zeilen heben dann die schmerzhafte Erfahrung hervor, dass das Nicht-Finden einer neuen Heimat vor allem damit zusammen hängt, dass man nirgendwo aufgenommen wurde.
  4. Das wird in einer Weise präsentiert, dass man an Not denkt und Hartherzigkeit.
  5. Die nächsten drei Zeilen sollen dann deutlich machen, dass es diesem lyrischen Ich gegangen ist wie einem Hund, der aus irgendeinem Grunde alleingelassen worden ist und ab dann nur noch schauen kann, wie er irgendwo überlebt, und dabei dabei sicherlich in ständiger Gefahr ist, von Steinen getroffen zu werden oder sonst wie in Gefahr zu geraten.
  6. Dabei hat es  durchaus auch mal so etwas wie Gemeinschaft gegeben, aber keine echte, sondern nur eine eben, wo man sich kurze Zeit sich jemandem anschließt.
  7. Dann das Fazit, dass zwei wesentliche Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben fehlen, nämlich Nahrung und Wärme.
  8. Der Schluss scheint dann etwas positiver zu werden, wenn gesagt wird, dass dieser Flüchtling zumindest hin und wieder in einer Herberge kurzzeitig rasten konnte, bevor es dann mit dem „Streunen“ weiterging.
  9. Immerhin hat das lyrische ich in diesen Herbergen, als kleinen Oasen der Menschlichkeit, etwas zu essen bekommen und auch ganz allgemein eine Reaktion, die als „Gnade“ empfunden wird.
  10. Am Ende bleibt die traurige Erfahrung, dass man eine Heimat verloren und keine neue gefunden hat.

Insgesamt ein Gedicht, dass wichtige Befindlichkeiten und Erfahrungen von Menschen auf der Flucht gut anspricht.

Die Frage ist, ob das Gedicht nicht insgesamt zu allgemein bleibt. Es bleiben sehr viele Fragen offen, zum Beispiel wovor geflohen worden ist, warum die Menschen sich nicht mehr um den Flüchtling gekümmert haben, was der Flüchtling auch selbst getan hat, um eine Heimat zu finden.

Wenn es die Stelle mit der Herberge nicht gäbe, könnte man dem Gedicht vorwerfen, dass es sehr pauschal und einseitig ist, zum Beispiel in keiner Weise auf die Menschen eingeht, die sich tatsächlich um Flüchtlinge gekümmert haben und dabei vielleicht nicht genügend Unterstützung bekommen haben.

Aber ein Denkanstoß, sich mit dem Leben von Menschen in Fluchtsituationen zu beschäftigen, enthält das Gedicht allemal.

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Stefan Zweig, „Hymnus an die Reise“

Stefan Zweig

Hymnus an die Reise

Schienen, die blauen Adern aus Eisen,
Durchrinnen die Welt, ein rauschendes Netz.

  • Die Überschrift dieses Gedichtes sagt schon viel aus, denn es geht offensichtlich um eine Art Loblied im Hinblick wahrscheinlich auf das Reisen allgemein. Zumindest ist das ein mögliches erstes Vorverständnis.
  • Die ersten beiden Zeilen widmen sich dann dem zur Zeit Stefan Zweigs noch  wichtigsten Verkehrsmittel, nämlich der Eisenbahn. Und an dem Bild der Adern, verbunden mit der Farbe Blau, merkt man gleich deutlich, dass es hier um Lebensadern geht. Schließlich sind Schienen in der Realität ja eher braun und mit der Farbe verbindet man nicht so viel Positives wie mit der Farbe Blau.
  • In der zweiten Zeile gibt es auch positive Hinweise, nämlich „durchrinnen“ assoziiert man ja mit Wasser, ebenfalls ein Grundstoff des Lebens. Und wenn man Netz mit dem Attribut rauschend verbindet, ist das auch nicht negativ.

Herz, rinn mit ihnen! Raff auf dich, zu reisen,
Im Flug nur entfliehst du Gewalt und Gesetz.
Im Flug nur entfliehst du der eigenen Schwere,
Die dir dein Wesen umschränkt und erdrückt.
Wirf dich ins Weite, wirf dich ins Leere,
Nur Ferne gewinnt dich dir selber zurück!

  • In der nächsten Zeile erfolgt vom lyrischen Ich ein Appell an sich selbst und zwar gleich in Richtung des Zentrums der Existenz und besonders der Gefühle, nämlich in Richtung des Herzens. Das soll sich an dieser lebendigen Bewegung des Rennens beteiligen und daraus sicherlich Kraft und Gesundheit schöpfen.
  • Man merkt aber in der zweiten Hälfte der Zeile auch gleich, dass dazu immer auch erst mal eine Kraftanstrengung nötig ist, man muss sich aufraffen, raus aus der gemütlichen Sesselposition. Das erinnert sehr stark an die Romantik.
  • Es folgen zwei Zeilen, die deutlich machen, wovon man sich bei einer solchen Aktion auch befreit. es geht einmal um negative äußerliche Einwirkung, dann aber auch um das, was den Menschen selbst von seinem Inneren aus beschweren kann.
  • Der Schluss dieser Zeilengruppe betont dann noch einmal den großen Ansatz dieser Maßnahme, dennman wirft sich dabei durchaus ins Leere, verlässt also den geschützten Bereich und muss für sich selbst diese Leere dann auch erst mal fühlen.
  • Man hat fast das Gefühl, dass hier aus der Perspektive von Auswanderern gesprochen wird, die etwa im 19 Jahrhundert alles aufgaben, was sie in Europa hatten, was sie aber auch fesselte, um dann in der neuen Welt für sich auch etwas Neues aufbauen zu können.
  • Deutlich wird auch die interessante Erfahrung, dass man sich in der Ferne erst einmal verlieren muss, um sich dann neu auch zu finden.
  • Das alles sind Bilder und Vorstellungen, die jeder mit eigenen Erfahrungen füllen kann.

Sieh! bloß ein Ruck, und schon rauscht es von Flügeln,
Für dich braust eine eherne Brust,
Heimat stürzt rücklings mit Hängen und Hügeln
Ein Neues, es wird dir neuselig bewußt.

  • Es folgt eine fast schon reportageartige Schilderung des Vorgangs, in das das lyrische ich jetzt anscheinend selbst gerade hineintaucht.
  • Dass man sich dabei beflügelt vorkommen muss, ist nachvollziehbar nach dem, was vorher entwickelt worden ist. Der Hinweis auf eine anscheinend außen vorhandene „eherne Brust“ ist allerdings etwas befremdlich und schwer zu verstehen. Vielleicht kann man das aber doch so verstehen, dass diese „eherne Brust“ dann doch die eigene ist, die man jetzt gewissermaßen wie eine Rüstung oder einen Brustpanzer anzieht.
  • Dann wird bildlich dargestellt, wie alles Bisherige hinter einem zurückbleibt. Und das neue Gefühl von Weite und Perspektive in dem Neologismus „neuselig“ zusammengefasst wird.

Die Grenzen zerklirren, die gläsernen Stäbe,
Sprachen, die fremden, sie eint dir der Geist
Unendlicher Einheit, da er die Schwebe
Der vierzehn Völker Europas umkreist.

  • Im folgenden wendet sich das lyrische Ich dann größeren Zusammenhängen zu, zunächst geht es um das Zerbrechen der Grenzen. Interessant ist das Bild der „gläsernen Stäbe“. Denn das kann man so verstehen, dass man zwar eigentlich immer schon in die Weite schauen konnte, aber die gläsernen Stäbe haben einen letztlich daran gehindert, auch hinaus zu gehen.
  • Dann geht es um die verschiedenen Sprachen, mit denen man in der Fremde konfrontiert wird.
  • Hier wird hervorgehoben, dass diese Sprachen und die damit verbundene Menschen letztlich doch etwas einigt. Dieser Geist der zur Zeit Zweigs wahrscheinlich vorhanden 14 Völker Europas wird auf jeden Fall als ein Potenzial der Einigung verstanden.
  • Auch hier muss man selbst überlegen, was damit gemeint sein könnte. Am wahrscheinlichsten ist wahrscheinlich die Vorstellung einer gemeinsamen Kultur, die ja unter den gebildeten Menschen zur Zeit Zweigs noch sehr stark durch die römische und griechische Kultur und Sprache geprägt war. Aber natürlich ist das ganze auch offen für die Vorstellung von einer Art Menschheitsfamilie.

Und in dem Hinschwung von Ferne zu Fernen
Wächst dir die Seele, verklärt sich der Blick,
So wie die Welt im Tanz zwischen Sternen
Schwingend ausruht in großer Musik.

  • In den vier Schluss-Zeilen des Gedichtes wird dann die positive Auswirkung des Reisens von einer Ferne zur andern beschrieben.
  • Zum einen wird das eigene Innere, das Bewusstsein, das Zentrum der Gefühle größer, zum anderen aber auch ändert sich der Blick auf die Welt.
  • Interessant ist aber das Wort „verklären“, weil in ihm zwar „klar“ steckt, doch aber auch ein Aspekt, der über die normale, kalte, materielle Welt hinausweist.
  • Die beiden Schluss-Zeilen sind dann wirklich Hymnus pur, denn hier werden Vorstellungen von der Welt präsentiert, die weit über die normale Wirklichkeit hinausgehen.

Weiterführende Hinweise

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Muhammad Schams ad-Din Hafis, „Reiseziel“ – ein persisches Gedicht aus dem 14. Jhdt.

Im Folgenden  geht es um ein besonderes „Reisegedicht“ aus dem 14. Jahrhundert, das uns in der Übersetzung eines deutschen Dichters aus dem 19. Jhdt vorliegt.

Zu finden ist das Gedicht zum Beispiel auf der Seite:
https://www.gedichte-fuer-alle-faelle.de/allegedichte/gedicht_1692.html

Muhammad Schams ad-Din Hafis

Reiseziel

Nun ist das Leben an seinem Ziel
Und ohne Zweck war die Reise.
O Jüngling, rühre das Saitenspiel,
Schon morgen wirst du zum Greise.

  • Das Gedicht beginnt mit einer Art Klage des Lyrischen Ichs, das sich das Ende einer Lebensreise vorstellt, die zwar „an seinem Ziel“ angelangt ist, aber es „ohne Zweck“ erreicht hat.
  • Es hat also offensichtlich ein größerer Kontext, eine Aufgabe gefehlt.
  • Als einzige Möglichkeit wird noch gesehen, Musik zu machen, denn schon am folgenden Tag, also in kurzer Zeit wird man „zum Greise“.
  • Hier ist nicht ganz klar, welche Kommunikationssituation vorliegt. Am meisten überzeugt wohl ein Verständnis, bei dem das Lyrische Ich an sein Ende denkt und vor diesem Hintergrund einem jungen Menschen den Rat gibt, sich mit Musik das Leben angenehmer zu gestalten, denn das traurige Ende nahe schnell.

Das lecke Schiff und der morsche Kiel
In Meeren ohne Geleise,
Der Winde Ball und der Wellen Spiel
Unnütz gewirbelt im Kreise.

  • Die zweite Strophe präsentiert das Bild eines Schiffes,
  • das zunächst schon mal als seeuntüchtig vorgestellt wird
  • und dann auch noch in schweres Wetter gerät.
  • Interessant auch hier, dass wieder  von „unnütz“ die Rede ist, was zu dem fehlenden Zweck aus der ersten Strophe passt.

So viel gehofft und gewünscht so viel,
Getäuscht in jeglicher Weise,
Hindurch durchs ewige Widerspiel
Gequält von Glut und von Eise.

  • Die dritte Strophe konzentriert sich auf den Gegensatz zwischen den Hoffnungen und Wünschen und der Realität, bei der sich alles als Täuschung herausgestellt hat.
  • Das Leben wird verstanden als ein ständiges Hin und Her, bei dem der Mensch nur ein Spielball ist und sich dabei „gequält“ fühlt.

Nun sinkt die Rose auf mattem Stiel,
Die Blätter fallen vom Reise.
Nun ist das Leben an seinem Ziel
Und ohne Zweck war die Reise.

  • Die letzte Strophe nimmt dann noch mal den Ausgangspunkt wieder auf.
  • Der Mensch am Ende seines Lebens wird als Rose angesehen, deren Lebenszeit auch zu Ende geht und die ihre Blätter, also die Zeichen der Lebenskraft verliert.
  • Dann werden die Eingangszeilen wiederholt, was die Sinnlosigkeit unterstreicht.
  • Man hat den Eindruck, dass das Lyrische Ich damit signalisiert, es hätte sich alles dazwischen eigentlich auch sparen können.

(aus dem Persischen von Friedrich Rückert)

Zusammenfassung und kreativer Ausblick

Insgesamt wirkt das Gedicht sehr negativ, geht in keiner Weise auf Dinge ein, die ein Leben lebenswert machen – von der Schönheit der Natur bis zum Geheimnis der Liebe.

Vor diesem Hintergrund „schreit“ dieses Gedicht regelrecht nach einem Gegengedicht.

Man könnte zum Beispiel folgenden Ansatz versuchen:

Reiseweg

Wer stets nur ans Ziel denkt
des Lebens, den Tod,
wird blind für das Schöne
am Rand aller Wege,
die gehen man darf.

Aber auch Schatten
sind nützlich, sorgen für
Einhalt und schaffen
Erfahrung – sind Triebkraft
des Wachstums – man lernt
nur durch Schmerz.

Und wenn dann das Ende
der Reise sich naht.
Wohl dem, dessen Rückblick
voll Welt ist und Zweck.

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Eichendorff, „Rückkehr“ – ein Gedicht ohne großen Zusammenhang?

Vorab-Kritik: Ein Schnellschuss?

Ausnahmsweise beginnen wir die Interpretation eines Gedichtes tatsächlich mit einem persönlichen Bekenntnis, weil wir viel gelitten haben.

Wir haben eine hohe Meinung von Gedichten und besonders auch von Eichendorff. Wir wissen aber auch, dass jeder Mensch und damit auch jeder Schriftsteller Höhen und Tiefen kennt.

Also stellen wir hier einfach mal die These auf, dass dieses Gedicht unseren Ansprüchen nicht so recht genügen kann. Wir können uns des Gefühls nicht erwehren, dass das Gedicht ein bisschen „hingeklatscht“ ist, sehr nach einem Schnellschuss aussieht.

Nun haben auch solche Gedichte ihre Berechtigung – das ändert aber nichts an der Enttäuschung derer, die von ihren Mitmenschen und damit auch von Schriftstellern mehr erwarten.

So, jeder kennt nun unsere Vor-Urteile gegenüber diesem Gedicht. Und damit gibt es auch eine gute Grundlage, das selbst zu prüfen und uns ggf. zu widersprechen.

Unsere Sicht auf das Gedicht

Joseph von Eichendorff

Überschrift und 1. Strophe

Rückkehr

01 Wer steht hier draußen? — Macht auf geschwind!
02 Schon funkelt das Feld wie geschliffen,
03 Es ist der lustige Morgenwind,
04 Der kommt durch den Wald gepfiffen.

  • Das Gedicht beginnt mit einer etwas unklaren Kommunikationssituation.
  • Am Anfang steht eine Frage, die nur aus dem Inneren eines Hauses kommen kann. Die Antwort wiederum kann hier nur von jemanden kommen, der draußen steht und rein will.
  • Dann gibt es drei Sprecher-Hinweise, die die Welt draußen sehr positiv darstellen, es geht um die Schönheit der Natur, die auch aus der menschlichen Perspektive mit einer positiven Geisteshaltung verbunden wird. Dazu kommt beim Wind das Element der Geschwindigkeit.
  • Wenn man das hermeneutische Modell anwendet und sich fragt, wie es mit dem Verständnis des Gedichtes am Ende der ersten Strophe aussieht, weiß man hier noch nicht so richtig, woran man ist.
  • Man könnte glauben, dass draußen jemand steht, der einen zum Aufbruch, zum Beispiel zu einer Wanderung aufruft. Dagegen spricht aber natürlich die Überschrift „Rückkehr“.

2. Strophe

05 Ein Wandervöglein, die Wolken und ich,
06 Wir reis’ten um die Wette,
07 Und jedes dacht‘: nun spute dich,
08 Wir treffen sie noch im Bette!

  • Die zweite Strophe präsentiert dann eine Art Rückblick auf eine intensive Reisetätigkeit.
  • Verbunden wird das mit dem Aspekt der Schnelligkeit, fast schon der Rastlosigkeit. Aus irgendeinem Grunde will das lyrische ich Irgendwelche anderen Leute überraschen, die nicht so früh auf sind wie es selbst.

3. Strophe

09 Da sind wir nun, jetzt alle heraus,
10 Die drinn noch Küsse tauschen!
11 Wir brechen sonst mit der Tür in’s Haus:
12 Klang, Duft und Waldesrauschen.

  • In dieser Strophe wird dem Leser nun das Ziel dieses schnellen Aufbruchs präsentiert, nämlich irgendwelche anderen Menschen, die eher noch mit der Liebe beschäftigt sind.
  • Verbunden wird das mit einer wahrscheinlich freundlich gemeinten Bereitschaft auch zur Gewalttätigkeit, wenn die Tür nicht schnell genug geöffnet wird.
  • Die Schlusszeile präsentiert dann einfach drei schöne Aspekte, die mit dem Wandern verbunden sind.

4. Strophe

13 Ich komme aus Italien fern
14 Und will Euch alles berichten,
15 Vom Berg Vesuv und Roma’s Stern
16 Die alten Wundergeschichten.

  • Diese Strophe passt dann am besten zur Überschrift, weil das lyrische Ich sich dort tatsächlich in die Situation eines Rückkehrers versetzt.
  • Es geht um das Sehnsuchtsland der Deutschen, von dem es berichten will, und schöne Örtlichkeiten werden dann gleich auch im romantischen Sinne mit alten „Wundergeschichten“ in eine Beziehung gesetzt – oder so verbunden.

5. Strophe

17 Da singt eine Fey auf blauem Meer,
18 Die Myrthen trunken lauschen —
19 Mir aber gefällt doch nichts so sehr,
20 Als das deutsche Waldesrauschen!

  • Die letzte Strophe geht dann in den ersten beiden Zeilen auf typisch romantische Motive und Gefühle ein,
  • macht aber dann in den letzten beiden Zeilen deutlich, dass es mehr an der deutschen Heimat hängt, mit Betonung der Bedeutung des Waldes.

Zusammenfassung

  • Insgesamt ein irgendwie sehr unstrukturiert wirkendes Gedicht, dessen Bestandteile man nur mühsam zu einem zusammenhängenden Inhalt verarbeiten kann.
  • Nicht ungefähr wird diesem Gedicht bei weitem nicht die Bedeutung zugesprochen, wie sie das andere Gedicht mit dem gleichen Titel von Eichendorff hat.
  • Insgesamt zeigt das Gedicht ein Nebeneinander von typisch romantischen Motiven und ein bisschen Fernweh, um am Ende dann ganz eindeutig eine Priorität zu setzen.
  • Sehr bedauerlich ist, dass die Schlusspointe in keiner Weise aus dem Gedicht heraus motiviert wirkt und auch ansonsten nicht weiter begründet wird.
  • So bleibt beim Leser der Eindruck eines etwas gedankenarmen Schnellschusses. Gerade der Vergleich mit dem anderen Rückkehr-Gedicht zeigt, wozu Eichendorff wirklich fähig ist.

Vergleich mit Grünbein, „Kosmopolit“

Im Rahmen des Abiturs 2020 war das Gedicht von Eichendorff, mit einem von Grünbein zu vergleichen.

Wir haben es hier behandelt.

Ohne darauf genauer eingehen zu wollen, haben wir den Eindruck, dass beide zum gleichen Ergebnis kommen, dass nämlich die echte Welt zunächst oder überhaupt die ist, in der man aufgewachsen ist.

Eichendorff begründet das nur nicht näher, während Grünbein ausführlich, wenn auch in zum Teil schwierigen Bildern auf die Probleme hinweist, wenn man zwar zwischen verschiedenen Welten pendelt, allerdings ohne wirklich auch dort heimisch zu werden.

Weiterführende Hinweise

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