Ernst Moritz Arndt, Was ist des Deutschen Vaterland?

Herausarbeitung der Aussagen (Intention) aus einem Gedicht

Im Folgenden geht es darum, möglichst genau herauszuarbeiten, worauf Arndts berühmtes Gedicht hinausläuft.

Dazu sammeln wir wichtige Signale und fügen sie am Ende zusammen:

Des Deutschen Vaterland

(1)
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist’s Preußenland, ist’s Schwabenland?
Ist’s, wo am Rhein die Rebe blüht?
Ist’s, wo am Belt die Möwe zieht?
O nein! nein! nein!
Sein Vaterland muss größer sein.

  • Hier und in den folgenden Strophen geht es nur um ein Ziel, dass das Vaterland der Deutschen größer sein soll als die Teile, die es 1813 gab.

(2)
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist’s Bayerland, ist’s Steierland?
Ist’s, wo des Marsen Rind sich streckt?
Ist’s, wo der Märker Eisen reckt?
O nein! nein! nein!
Sein Vaterland muß größer sein.

(3)
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist’s Pommerland, Westfalenland?
Ist’s, wo der Sand der Dünen weht?
Ist’s, wo die Donau brausend geht?
O nein! nein! nein!
Sein Vaterland muss größer sein.

(4)
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Ist’s Land der Schweizer? Ist’s Tirol?
Das Land und Volk gefiel mir wohl:
Doch nein! nein! nein!
Sein Vaterland muss größer sein.

(5)
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Gewiß es ist das Österreich,
An Ehren und an Siegen reich?
O nein! nein! nein!
Sein Vaterland muss größer sein.

(6)
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
So weit die deutsche Zunge klingt
Und Gott im Himmel Lieder singt,
Das soll es sein!
Das, wackrer Deutscher, nenne dein!

  • Hier wird die Antwort gegeben, das Kriterium genannt, was des Deutschen Vaterland ausmacht, nämlich die gemeinsame Sprache.

(7)
Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Eide schwört der Druck der Hand,
Wo Treue hell vom Auge blitzt
Und Liebe warm im Herzen sitzt
Das soll es sein!
Das, wackrer Deutscher, nenne dein!

  • Hier tauchen jetzt bestimmte kulturelle Ressentiments auf (starke Gefühle für und gegen etwas). Den Deutschen wird nämlich eine einfache Vertragstreue und warme Herzensliebe zugeschrieben.

(8)
Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Zorn vertilgt den welschen Tand,
Wo jeder Franzmann heißet Feind,
Wo jeder Deutsche heißet Freund –
Das soll es sein!
Das ganze Deutschland soll es sein!

  • Nach dem Pro kommt das Contra dieser Ressentiments, nämlich der Zorn auf die angeblich andere und nicht so gute französische Kultur. Das wird dann bedauerlicherweise auch noch auf die Menschen übertragen, die Franzosen. Demgegenüber sollen die Deutschen eng zusammenhalten.

(9)
Das ganze Deutschland soll es sein!
O Gott vom Himmel sieh darein
Und gib uns rechten deutschen Mut,
Dass wir es lieben treu und gut.
Das soll es sein!
Das ganze Deutschland soll es sein!

  • Hier werden noch mal angebliche deutsche Identitätsmerkmale aufgeführt, nämlich Mut, Liebe, Treue und Gutsein.

Zusammenfassung der Aussagen

Das Gedicht

  1. will, dass alle Gebiete, in denen deutsch gesprochen wird, als gemeinsames deutsches Vaterland betrachtet wird
  2. Außerdem konzentriert es einen kulturellen Gegensatz zwischen dem „Tand“ (wertlose Dinge) der französischen Kultur
  3. und der angeblichen besonderen Treue, verbunden mit Liebe und Mut, die den Deutschen zugeschrieben wird.
  4. Dieser kulturelle Gegensatz wird dann auch zu einem der Völker hochgeschraubt, indem jeder Franzose als Feind eines einheitlichen deutschen Volkes betrachtet wird.

Der historische Hintergrund

Dieses Gedicht kann man nur verstehen vor dem Hintergrund einer äußerst expansiven Politik eines überstarken Frankreichs, dem seit Ludwig XIV. auch eindeutig deutsche Gebiete wie damals das Elsass zum Opfer fielen. Dazu kam die Politik Napoleons, das zum Ende des alten „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ führte und zu großen militärischen und menschlichen Katastrophen in den Napoleonischen Kriegen. Dagegen formierte sich Widerstand, der schließlich in den siegreichen Befreiungskriegen gipfelte.

In diesem Zusammenhang wurde ein deutsches Kulturverständnis entwickelt, das anders als Herder oder auch Goethe vor allem Gegensätze betonte – und in dieser Tradition steht das Gedicht Arndts.

Die Beziehung zwischen der deutschen und der französischen Kultur in der Wissenschaft

Wer genauer verstehen will, wie sich das deutsche Nationalbewusstsein unter dem Einfluss und im Gegensatz zu Frankreich und seiner Kultur entwickelte, findet hier sehr gute Informationen und Einschätzungen:

„Die Rolle Frankreichs in der Entstehung der deutschen Nationalidentitä“, Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades Deutsch-Französisches Diplom Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart und des Institut d’Etudes Politiques de Bordeaux, Abgabedatum : 13 Juli 2006

  1. Am Anfang geht es um die Frage der Identität und wie sie entsteht.
  2. Deutlich wird dann sofort, dass ein Mangel an Identität zu Maßnahmen führen, die das kompensieren sollen.
  3. Das wird dann am Beispiel Deutschlands gezeigt.
  4. Interessant ist sicher das Kapitel: „Neubewertung der Stereotypen über Deutsche und Franzosen“
  5. Interessant im Hinblick auf Arndt ist ein Zitat aus dem Fazit der Arbeit:
    • „Arndt ruft also die Deutschen dazu auf, sich ihrer nationalen Kulturleistungen bewusst zu werden
    • und das Ausländische zu boykottieren:
    • „Wer also für deutsche Art, Sitte, Sprache, Tracht, etwas Würdiges und Tüchtiges tut, erscheine es einzeln auch noch so klein,
    • ja wer nur dahin wirkt, dass das Welsche und Fremde allmählich als hässlich, albern und abgeschmackt von uns erkannt wird,
    • was es ja wirklich auch ist,
    • der tut etwas sehr Löbliches und Verdienstliches.“
  6. Deutlich wird hier die Verbindung von positivem Selbstbewusstsein mit einem Boykott des Ausländischen bis hin zu einer Art Verachtung fremder Kulturleistungen.

Weiterführende Hinweise

  • Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
  • Eine Übersicht über unsere Videos auf Youtube gibt es hier.