Im Folgenden zeigen wir am Beispiel des Gedichtes „Fließband“ von Mathias Schreiber, wie man ein Gedicht fortlaufend versteht und am Ende seine Aussage(n) bestimmen kann.
- Das Gedicht beginnt mit einer Situationsbeschreibung. Beim Leser entsteht sofort das Bild eines Arbeiters, der mit vielen anderen zusammen in einer Fabrikhalle steht und immer nur die gleiche, eintönige Sache machen muss.
— - Die nächsten viereinhalb Zeilen beschreiben dann ein zweites Problem eines solchen Arbeitslebens.
Der Mensch am Fließband weiß überhaupt nicht, was aus den Dingen wird, an denen er gearbeitet hat. Das innere Gefühl, das dabei auftaucht, wird sehr gut an der umgangssprachlichen Wendung
„weiß der Teufel“
deutlich.
Dann kommt noch eine Konkretisierung, die insofern besonders raffiniert ist, weil sie die Schrauben einmal in der Fantasie mit einem normalen Haushaltsgerät verbindet, zum anderen mit einem Folterinstrument.
— - Auch sehr gut gemacht ist dann der fließende Übergang von den Daumenschrauben zu den nicht vorhandenen Pausen.
Das passt nämlich sehr gut zu der Situation am Fließband, wo es eben auch weder eine Pause zur Erholung noch eine Pause als Unterbrechung gibt.
— - Die Anmerkung zu den Fingern macht deutlich, welche Nervosität beziehungsweise Angespanntheit am Fließband herrscht. Dazu gibt es ja den berühmten Film „Modern Times“ mit Charlie Chaplin, wo das auf satirische Weise gezeigt wird.
https://www.youtube.com/watch?v=6n9ESFJTnHs
— - Etwas seltsam sind dann die beiden Wörter
„und Leere“,
die sollen vielleicht deutlich machen, dass hier zwar etwas getan wird, aber man kennt eben den Zusammenhang nicht, man arbeitet also gewissermaßen ins Leere hinein.
— - Am Ende dieses Abschnitts gibt es dann noch eine Kritik am modernen Arbeitsleben, die eben das Natürlichste von der Welt, nämlich die Zeit, aus diesem natürlichen Zusammenhang herausreißt und eben zu Bestandteilen der Lohnabrechnung macht.
— - Die zweite Strophe beginnt wie die erste und beschreibt dann kurz eine zweite Arbeitsvariante, die dann genutzt wird für die metaphorische Beschreibung der Enttäuschung, was gut zu der Leere weiter oben passt.
— - Typisch auch für die Arbeit am Fließband wird dann diese gleiche Sache noch mal wiederholt, auch hier taucht die Frage nach der Funktion und dem Sinn der Tätigkeit auf.
Am Ende mach das Lyrische Ich deutlich, dass es eben mehr ist als ein Arbeiter am Fließband, eben ein fühlender Mensch, der mit seinen Gefühlen nirgendwo anders hin kann als in das Werkstück hinein.
— - Es folgt dann eine weitere Kritik an der Situation, die deutlich macht, dass eine solche Arbeit am Fließband einem das Leben wegnimmt beziehungsweise das, was zum Leben wirklich nötig ist, nämlich das freie Atmen.
— - Der Schluss deutet dann eine sehr sarkastische Perspektive an.
Das lyrische ich stellt sich vor, dass es erstens auf dem Fließband mitgezogen wird, also selbst zu einem Werkstück wird.
Dann geht das noch weiter, das Lyrische Ich fühlt sich dabei ausgezogen, d.h. seiner Kleidung und seine Schutzes beraubt.
Am Ende steht eine Art Auflösung, die sprachlich dadurch unterstrichen wird, dass der letzte Satz ziemlich unvollständig klingt. Das entspricht aber eben auch dieser offenen Situation ohne irgendeinen positiven Ausblick.
Aussage(n) des Gedichtes
- Insgesamt zeigt das Gedicht auf eine eindrucksvoller Art und Weise einen Aspekt unserer modernen Arbeitswelt, die man auch mit Entfremdung bezeichnet.
Gemeint ist damit, dass man nur noch Teile des Arbeitsprozesses über schaut und nicht die Zufriedenheit früherer Zeiten mehr verspüren kann, wenn ein Handwerker am Ende das fertige Stück in seiner Funktion auch sehen konnte.
— - Außerdem wird die Unmenschlichkeit dieser Arbeitswelt gezeigt, ohne Pausen und mit negativen Gesundheitsfolgen, zum Beispiel auf das Nervensystem.
— - Am beeindruckendsten ist allerdings dann am Ende die Vorstellung, dass man bei einer solchen Arbeit selbst zu einem Objekt wird, das einem ungewissen Schicksal entgegen geht.