Theodor Storm zur Frage der „Jugendschriftstellerei“
Normalerweise äußern sich Schriftsteller nicht gerne zu den Umständen, in denen ein Werk entstanden ist. Manchmal gibt es aber auch Ausnahmen – und eine ist besonders interessant.
Im Jahre 1874 erscheint nämlich von Theodor Storm die Novelle „Pole Poppenspäler“, die man durchaus als „Auftragsarbeit“ bezeichnen kann. Nähere Infos hierzu findet man hier.
Und zwar wurde eine neue Zeitschrift gegründet mit dem Namen „Deutsche Jugend“. Storm fand das gut und wollte als Schriftsteller etwas beitragen. Dabei entdeckte er dann ein Problem, auf das er in einem Nachwort zu der oben genannten Novelle näher eingeht.
Das Nachwort
Wir präsentieren dieses Nachwort hier mit Kommentaren.
„Als bei Begründung der Zeitschrift ‚Deutsche Jugend‘ auch meine Mitarbeiterschaft gewünscht wurde, vermochte ich, ungeachtet meiner Teilnahme für das so reich ausgestattete Unternehmen, dem Verlangen der Herren Herausgeber nach einer novellistischen Arbeit erst nach geraumer Zeit zu genügen.“
- Hier berichtet Storm ganz offen, dass er „Teilnahme“, also Interesse, an dieser neuen Zeitschrift hatte
- und dass er auch bereit war, sich mit „einer novellistischen Arbeit“ daran zu beteiligen.
- Daraus ist dann „Pole Poppenspäler“ entstanden, worauf wir hier nicht näher eingehen.
„Die Schwierigkeit der ‚Jugendschriftstellerei‘ war in ihrer ganzen Größe vor mir aufgestanden. ‚Wenn du für die Jugend schreiben willst‘ –in diesem Paradoxen formulierte es sich mir –, ‚so darfstdu nicht für die Jugend schreiben! – Denn es ist unkünstlerisch, die Behandlung eines Stoffes so oder anders zu wenden, je nachdem du dir den großen Peter oder den kleinen Hans als Publikum denkst.“
- Bisher hatte Storm anscheinend noch nichts geschrieben, was sich direkt an die Jugend richtete. Das war aber anscheinend der Ansatz für seine Mitarbeit an einer entsprechenden Zeitschrift.
- Er präsentiert dann das Problem, das er hatte, in der scheinbar widersprüchlichen These, dass man nicht für die Jugend schreiben darf, wenn man für sie schreiben will.
- Wir hatten uns dann gedacht, dass damit wohl damit ist, dass man als Schriftsteller eben den Lesern nicht das bieten darf, was sie sowieso aktuell im Kopf haben. Vielmehr soll man sie ja wie alle anderen Leser weiterbringen.
- Es ist immer gut, wenn man selbst erst nachdenkt, bevor man dem Autor weiter folgt: Hier überrascht nämlich Storm mit einer anderen Begründung. Er glaubt, dass jeder Stoff eine eigene Herangehensweise verlangt, die man nicht zugunsten der Leser abändern darf.
- Wir finden das sehr problematisch, denn ein Stoff ist erst mal nur ein Teil der schriftstellerischen Wahrheit. Hinzu kommt das, was der Schriftsteller hineinlegt. Aber Storm übersieht hier, dass alles, was wir tun, nicht nur aus uns selbst heraus kommt, sondern auch mit Blick auf andere gestaltet ist bzw. wird.
- Außerdem übersieht er völlig, dass es natürlich Schriftsteller gibt (man müsste prüfen, ob es die zu seiner Zeit schon gab), die auch schwierige Dinge wie etwa den Tod so präsentieren, dass Kinder Wesentliches verstehen, aber nicht überfordert werden.
- Sicherlich gibt es Themen, die nicht in ihrer ganzen Breite, Tiefe und vielleicht Schrecklichkeit bereits komplett vor Kindern ausgebreitet werden dürfen. Aber das jetzt von ihm präsentierte Problem gibt es wohl in der Größenordnung nicht.
„Durch diese Betrachtungsweise aber wurde die große Welt der Stoffe auf ein nur kleines Gebiet beschränkt. Denn es galt einen Stoff zu finden, der, unbekümmert um das künftige Publikum und nur seinen inneren Erfordernissen gemäß behandelt, gleichwohl, wie für den reifen Menschen, so auch für das Verständnis und die Teilnahme der Jugend geeignet war.“
- Storm hat sich unserer Meinung selbst unnötigerweise ein Problem aufgehalst, das er so nicht haben müsste. Denn natürlich interessieren sich auch Kinder – oder sagen wir besser – Jugendliche gerade auch für sehr schwierige Themen – und damit kann natürlich schriftstellerisch umgegangen werden.
- Noch einmal: Natürlich hat ein Stoff seine eigenen „inneren Erfordernisse“ – aber wie sagt man so schön: „Kunst entsteht im Auge des Betrachters.“ Und das gilt eben auch für den Schriftsteller – d.h. der hat viel größere Spielräume, als Storm glaubt.
„Endlich wurde die vorstehende Erzählung geschrieben. – Ob nun darin die aufgestellte Theorie auch praktisch betätigt worden oder, wenn dies auch im Wesentlichen, ob nicht im Einzelnen hie und da die Phantasie mir einen Streich gespielt, so daß ich unbewusst dem zunächst bestimmten jungen Hörerkreise beim Erzählen gegenübergesessen haben – beides wird der geneigte Leser besser als der Verfasser selbst zu beurteilen imstande sein.“
- Am Ende geht Storm auf die konkrete Novelle „Pole Poppenspäler“ ein, ist aber offensichtlich selbst im Zweifel, ob seine vorher geäußerte Auffassung sich bestätigt hat.
- Oder – und das Bild finden wir sehr schön – ob er nicht doch diesen berühmten „gedachten“ bzw. „vorgestellten“ Leser vor seinem inneren Schriftstellerauge gehabt hat.
- Schön, dass Storm am Ende uns das Urteil überlässt. Wir verzichten hier auf die Beweisführung im Hinblick auf die Novelle, uns reichen die eigene Lebens- und Lese-Erfahrung.