Vorstellung des Gedichtes
- Das Gedicht besteht aus 7 Versgruppen zwischen einer Zeile und drei Zeilen.
- Die ersten beiden Gruppen bilden eine Einheit: In ihr wird kurz eine Situation beschrieben, bei der das Lyrische Ich auf eine Schaufensterscheibe zugeht und dabei das Gefühl hat, sich selbst entgegenzukommen.
- Interessant ist der Nachsatz: „wie ich bin“. Das macht deutlich, dass sein Selbstbild möglicherweise nicht dem entspricht, was er zu sehen bekommt. Übrigens eine ganz natürliche Situation, die jeder vorm Spiegel kennt, spätestens dann, wenn er mit seinem Aussehen vorm Ausgehen noch nicht zufrieden ist oder feststellt, dass er zum Friseur müsste.
- Das Besondere ist nun die dritte Versgruppe, denn da ist von einem „Schlag“ die Rede. Es geht wohl etwas „Schlagartiges“, das einem in solch einer Situation deutlich werden kann. Auf jeden Fall „trifft“ hier ein „Schlag“, es ist „nicht der erwartete Schlag“, wohl aber einer, der trotzdem trifft. Das bleibt hier sehr dunkel, wir meinen auch: unnötig dunkel. Vielleicht soll jeder Leser des Gedichtes selbst überlegen, was ihn in einer solchen Situation – wohl schmerzlich – treffen könnte.
- Das „trotzdem“ in der nächsten (abgetrennten) Zeile macht deutlich, dass sich hier Vorstellungen stark gegenüberstehen.
- Das Lyrische Ich verarbeitet aber nichts, sondern geht einfach weiter.
- Das ist wohl auch der Punkt, der letztlich in der nächsten Versgruppe dazu führt, dass das Lyrische Ich „vor einer kahlen / Wand“ steht und „nicht mehr weiter-/weiß.“
Ganz offensichtlich ist es in eine Sackgasse geraten. Alles spricht dafür, dass das damit zusammenhängt, dass es nicht rechtzeitig auf die (vermutlich gegebene) Diskrepanz (großer, gefährlicher Unterschied) zwischen dem Selbstbild und dem Spiegelbild geachtet hat. - So bleibt als Ausblick nur, dass das Lyrische Ich „später dann“ von jemandem abgeholt wird. Es ist eine ausweglose Situation, aus der es sich anscheinend nicht befreien kann oder will.
- Interessant ist der lakonisch kurze Schlusspunkt: „ab“ – mehr kann man zu diesem Menschen und seiner Situation nicht mehr sagen.
Aussage(n) des Gedichtes
Das Gedicht zeigt:
- einen Menschen, der angesichts einer Schaufensterscheibe mit einer anderen Sicht auf sich selbst konfrontiert wird, die ihn – ohne dass das näher ausgeführt wird – wie ein Schlag trifft.
- dass dieser Mensch das aber nicht verarbeitet und einfach weitergeht
- und so schließlich in einer ausweglosen Situation vor einer Wand landet
- und am Ende hilflos da steht und nur noch auf fremde Hilfe warten kann.
Künstlerischer Mittel
Die Wirkung des Gedichtes ergibt sich vor allem durch
- seinen darstellerischen Minimalismus. Alles wird sehr konzentriert und an wesentlichen Stellen auch offen.
- Wichtig sind die Strophensprünge, die das Vorwärts- und Weitergehen des Lyrischen Ichs deutlich machen, wobei es eben zu Zusammenstößen an den Strophenenden kommt.
- Am wirkungsvollsten ist der letzte Übergang und das maximal verkürzte „ab“, das die Ausweglosigkeit eines Niedergangs deutlich macht.
Kreative Anregungen
Ausgehend von diesem Gedicht kann man wunderschöne eigene Texte schreiben, in denen einem das Schicksal gewissermaßen eine letzte Warnung gibt. Es kann aber auch sein, dass sich alles gut auflöst – wie in dem folgenden Gedicht:
Lars Krüsand
Erleichterung
Da geht man
einkaufen,
denkt
an nichts Böses.
Und dann zeigt einem
das große Schaufenster
das eigene Spiegelbild:
einen Menschen
schmerzlich gebeugt
mit krummem Rücken.
Das trifft hammerhart
Man ahnt
eine Zukunft
mit Rollator
im Seniorenstift.
Erleichtert
blickt man
auf den Griff
des Einkaufswagens
und ist froh,
dass es nur ein
Hexenschuss ist.
Weiterführende Hinweise:
Das Gedicht erinnert von seiner Ausweglosigkeit her an Kafkas Kurzparabel „Kleine Fabel“:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kleine_Fabel#Der_vollst%C3%A4ndige_Text
Ansonsten kann man das Gedicht gut vergleichen mit Annette von Droste-Hülshoff, „Das Spiegelbild“:
https://wvm.schnell-durchblicken3.de/droste-huelshoff-das-spiegelbild/