Facharbeit – das Verlassen des Schutzraums Schule
Wenn man eine Facharbeit schreibt, verlässt man den Schutzraum Schule. Gemeint ist damit, dass Schulbücher und Lehrkräfte sich immer bemühen, Infos und Materialien möglichst so zu präsentieren, dass man sie möglichst gut versteht.
Schreibt man eine Facharbeit, dann hat man ein Thema und mehr oder weniger viele Informationsquellen, die sehr unterschiedlich sind – im Wert und in der Verständlichkeit.
Hier schon mal eine kleine Vorschau auf unsere Video-Dokumentation. Näheres dazu weiter unten.
Beispiel für einen harten Info-Brocken
Wir wollen hier einmal einen besonders harten Brocken vorstellen – und es ist sogar ein Wikipedia-Artikel. Auch dort denkt man nicht immer an einen breiten Nutzerkreis, sondern da schreibt ein Fachmann für alle anderen.
Aber schauen wir mal, was man trotzdem verstehen kann.
Es geht um die „Sprachdynamiktheorie“ und hier ist der entsprechende Wikipedia-Artikel zu finden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachwandel#Grammatikalisierungsmodell
Schauen wir uns den entsprechenden Abschnitt (Stand 23.04.2020) mal genauer an:
Sprachdynamiktheorie (laut Wikipedia)
- „Jürgen Erich Schmidt und Joachim Herrgen unterscheiden in ihrer 2011 erschienenen Sprachdynamiktheorie zwischen drei Synchronisierungsakten, der Mikro-, Meso- und Makrosynchronisierung, nach denen sprachdynamische Prozesse ablaufen.“
- Hier wird auf zwei Wissenschaftler verwiesen, mit denen man sich genauer beschäftigen müsste. Links gibt es ja. Leider führen die ins Nichts, man müsste also ansonsten im Netz suchen.
- Auf jeden Fall geht es um „sprachdynamische Prozesse“. Hier wird also Sprache als etwas Dynamisches, d.h. Veränderliches begriffen.
- Außerdem werden drei Varianten von „Synchronisierungsakten“ genannt. Später werden wir sehen, dass die Fachwörter unnötig fremd klingen, aber auf recht einfache Unterscheidungen verweisen.
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- „Der Terminus der Synchronisierung ist dabei als Gegenbegriff zur linguistischen Synchronie zu begreifen, da letztere statische Zustände beschreibt und damit einen prozessunabhängigen Sprung von Sprachzustand zu Sprachzustand voraussetzt, der der Beschreibung eines hochgradig dynamischen Systems wie Sprache insofern unangemessen ist, wie er deren zugrundeliegenden Gesetze terminologisch nicht zu beschreiben im Stande ist.[13]
- Dann wird ein Gegenbegriff genannt und ungefähr deutlich, worum es geht. Man hebt sich ab von einem Umgang mit Sprachentwicklung, bei der vorwiegend „statische Zustände“ beschrieben werden. Das bedeutet letztlich, dass sich die Sprache sprunghaft von einem statischen Zustand zum nächsten entwickelt.
- Den Leuten hier geht es also um die Übergänge, die als Prozess begriffen werden.
- Betont wird der dynamische Charakter der Sprache, der eher für dieses Modell spricht.
- Außerdem sieht man Gesetze, die man nur im dynamischen Modell präzise beschreiben kann.
- Da sind wir doch mal gespannt 😉
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- „Mit der Einführung des Synchronisierungsbegriffs soll insbesondere die zeitliche Dimension als konstitutiver und obligatorischer Bestandteil jedweder sprachlichen Interaktion berücksichtigt werden.“
- In diesem Satz wird noch mal betont, dass dieses Sync-Modell vor allem die „zeitliche Dimension“ in den Blick nimmt, der mit dem Sprachwandel einhergeht.
- Langsam gewöhnen wir uns an die Gedanken, erkennen bestimmte Elemente wieder und verstehen uns langsam in die Denke der Leute hinein.
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- „Der generelle Terminus der Synchronisierung ist dabei als „Ableich von Kompetenzdifferenzen im Performanzakt“[14] zu verstehen, deren Folge eine Modifizierung oder Stabilisierung des eigenen individuellen Sprachverhaltens und -wissens innerhalb einer Kommunikationssituation bewirkt.“
- Hier wendet man sich jetzt dem Schlüsselbegriff und -phänomen der „Synchronisierung“ zu.
- Und dann ist man doch sehr erstaunt, einen Begriff wie „Ableich“ präsentiert zu bekommen. Sicherheitshalber schauen wir im Internet-Duden nach und stellen erfreut fest, dass man dort einen Rechtschreibfehler vermutet. Es soll eigentlich „Abgleich“ heißen. Na toll.
- Es geht also um den Vergleich verschiedener Dinge mit dem Ziel der Harmonisierung – und zwar um „Kompetenzdifferenzen“ im „Performanzakt“.
Da schauen wir doch gleich mal nach, was darunter zu verstehen ist.
Auf der Seite: https://www.performativ.de/
wird deutlich, dass damit gemeint wird, dass mit dem Sprechen zugleich auch gehandelt wird. Als Beispiel fällt uns immer das „Ja“ vor dem Traualtar ein. Dann darf man sich nämlich küssen und hat hoffentlich ein schönes Leben zu zweit vor sich.
Bleibt die Frage, was „Kompetenzdifferenzen“ in solchen Sprechakten sind. Es geht um Unterschiede in der Kompetenz – und zwar beim Sprachwandel.
Uns fällt da erst mal nur ein, wie es Eltern geht, wenn ihre Kids Jugendsprache verwenden. Dann haben wir genau diese Kompetenzdifferenzen. Mal schauen, ob der Artikel hier noch präziser wird.
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- Ausgangspunkt und erste Ebene jedes Synchronisierungsaktes ist dabei die Mikrosynchronisierung:
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„Unter Mikrosynchronisierung verstehen wir punktuelle, in der Einzelinteraktion begründete Modifizierung und zugleich Stabilisierung des individuellen sprachlichen Wissens.“
– Jürgen Erich Schmidt, Joachim Herrgen[15]- Jetzt wendet sich der Artikel den drei Ebenen des Sprachwandels zu.
- Als erstes geht es um die „Mikrosynchronisierung“. Das sind kleine sprachliche Modifizierungen, bezogen auf einen Punkt und als einzelne Aktion.
Das ist gegeben, wenn jemand in einer Rede witzig sein will und dabei was Neues erfindet. Dazu gehören Neologismen, aber bei der ersten Verwendung, wenn sie noch nicht zur Norm geworden sind. Gedichte enthalten zum Beispiel viel auf dieser Ebene.
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- „Mesosynchronisierungen stellen hingegen eine systematisch auftauchende Folge gleichgerichteter Synchronisierungsakte über einen längeren Zeitabschnitt innerhalb bestimmter Gruppen (Peergroups, Ehe- und Familienleben) dar.“
- Die nächste Stufe bedeutet dann, dass so eine Neuerung über längere Zeit innerhalb einer Gruppe verwendet wird. Typisch für Jugendsprache.
- Man merkt übrigens spätestens hier, dass diese Wissenschaftler diese Aussagen unbedingt mit Beispielen versehen sollten . Nicht, weil ihre Leser zu dumm sind, sondern weil zur Sprache immer auch Klarheit gehört – und da reicht eine allgemeine Definition häufig nicht.
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- „Makrosynchronisierungen sind dagegen Angleichungsprozesse über sehr lange Zeiträume zu verstehen, „mit denen Mitglieder sich an einer gemeinsamen Norm ausrichten.“[16] und „zwischen denen kein persönlicher Kontakt bestehen muss.“[17]“
- Die dritte Stufe betrifft dann lange Zeiträume und geht über einzelne Gruppen hinaus.
- Man glaubt es kaum, jetzt kommt ein Beispiel.
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- Ein Beispiel der letzten Art ist etwa in der Lutherbibel zufinden, an der sich Millionen von Sprechern über Jahrhunderte hinweg orientierten und damit als konventionalisiertes Artefakt der Sprachnormierung langfristige Spuren in der Sprachgeschichte des Deutschen hinterließ.
- Das Beispiel hier ist wirklich sehr schön, wenn man weiß, welche ungeheure Bedeuetung Luther und seine Bibelübersetzung für die Entstehung einer gemeinsamen deutschen Hochsprache hatten.
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- Das Beispiel hier ist wirklich sehr schön, wenn man weiß, welche ungeheure Bedeuetung Luther und seine Bibelübersetzung für die Entstehung einer gemeinsamen deutschen Hochsprache hatten.
- „Ebenso die Kodifizierung der Schriftsprache, beispielsweise ersichtlich an der jahrzehntelangen Orientierung an Wörterbüchern wie der Duden-Orthografie, sowie die damit verbundene institutionell vorgegebene präskriptive Normierung sind Bestandteil derartiger Makrosynchronisierungen.“
- Dann noch ein zweites Beispiel. Wer sich ein bisschen mit verschiedenen Duden-Ausgaben, vor allem nach der Rechtschreibreform, beschäftigt hat, der weiß, wie sehr dort darum gerungen wird, wieder eine einigermaßen brauchbare gemeinsame Norm herzustellen, nachdem der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet worden war.
- Mit „präskriptiver Normierung“ ist gemeint, dass die Normierung sich eben nicht von unten durch die Sprecher einer Sprache selbst ergibt, sondern von oben gesetzt wird.
- Das war ja bei der sog. Rechtschreibreform ein unglaubliches Experiment, während vorher der Duden immer versuchte, die aktuelle Sprachpraxis in ihren Veränderungen so zu erfassen, dass man wusste, was „norm-al“ war.
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- „Der kontinuierliche Prozess des Sprachwandels geschieht demgemäß in zeitlich verzögerten positiven oder negativen Rückkopplungseffekten, die modifizierend oder stabilisierend auf das jeweilige individuelle Sprachverhalten einwirken.“
- Hier wird vom „kontinuierlichen“, also ständig ablaufenden und sich weiter entwickelnden Prozess des Sprachwandels ausgegangen.
- Hervorgehoben wird noch mal, dass es Rückkopplungseffekte gibt, was man bei der Rechtschreibreform sehr gut sehen kann. Dort wurde zunächst zu viel an Möglichkeiten zugelassen – und der Duden hat dann versucht, das wieder ein bisschen zurückzubinden. Dabei war es wichtig, „dem Volk aufs Maul zu schauen“, wie Luther es formuliert hat. Gemeint war mit der typisch lutherischen drastischen Formulierung, dass man eben schaut, wie die Leute sprechen und daraus das Beste für alle macht.
Auswertung
- Inhaltlich sieht man, dass hier eine relativ einfache Sache ungeheuer aufgeblasen wird.
- Es geht darum, dass man beim Sprachwandel nicht einfach verschiedene Entwicklungsstufen scharf von einander abgrenzt,
- sondern schaut, wie die Sprachgemeinschaft von der einen Stufe zur nächsten gekommen ist.
- Und dabei war es immer schon selbstverständlich, dass eine Neuerung irgendwo mal entstanden ist, dann von der „Peergroup“ übernommen wurde und sich im Idealfall so ausbreitete, dass eine neue Norm entstand.
- Ein typisches Beispiel sind solche Kraftausdrücke wie „geil“, das das Wort „toll“ irgendwann abgelöst hat, weil es zu „normal-al“ gewordenwar. Mit „geil“ konnte man dann wieder die ältere Generation erschrecken – und jeder kann jetzt selbst mal schauen, durch welche kräftigeren Ausdruck auch dieses Wort ersetzt worden ist. Man kann es ja auch mal selbst probieren, ob man es über die drei Stufen der Sprachdynamiktheorie bis in den Duden schafft 😉
- Es ist klar, dass man sich hier jetzt noch intensiver mit der Theorie beschäftigen muss, denn die hat sicher noch mehr zu bieten als die hier kompliziert ausgedrückten Selbstverständlichkeiten.
Wir sind zum Beispiel auf dieser Infoquelle gestoßen, verzichten aber darauf, hier genauer darauf einzugehen (dort S.12)
https://books.google.com/books/about/Variation_und_Wandel_im_Blickpunkt.html?hl=de&id=Z21UDwAAQBAJ
Uns kam es nur darauf an zu zeigen, wie man mit solchen Informationsquellen intelligent und kritisch umgehen und sie vor allem für die eigene Facharbeit nutzen kann. - Die Methode besteht vereinfacht gesagt darin, sich erst mal nicht entmutigen zu lassen und dann:
- solche Texte erst mal in Informationseinheiten zu zerlegen
- diese dann möglichst zu verstehen – durch Nachschlagen, Recherchieren und eigene Überlegungen,
- vor allem verschiedene Textteile in Verbindung zu bringen, weil sich manches wiederholt oder gegenseitig erklärt.
- weitere Informationsquellen heranzuziehen diese sich dann gegenseitig „erklären“ zu lassen.
- Am Ende sich ein eigenes Bild davon zu machen. Wir selbst arbeiten gerne mit Schaubildern, die man dann später in der Arbeit versprachlichen kann.
Video-Dokumentation
Das zugehörige Video ist hier zu finden:
Mat1568 VidBegl Tipps zur Auswertung schwieriger Texte der Fachliteratur
Weiterführende Hinweise
- Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
- Eine Übersicht über unsere Videos auf Youtube gibt es hier.