Lasker-Schüler, Else, „Ein Liebeslied“: Wie findet man sicher die Aussage (Intention)?

Das Problem mit der „Aussage“ von Gedichten

Viele Schüler haben Schwierigkeiten, bei einem Gedicht die „Aussage“ zu finden – bzw. die „Intention“ – also das, worauf das Gedicht hinausläuft.

Wir zeigen mal an einem Gedicht, wie man das sicher herausbekommt, wenn man von den Textsignalen ausgeht, vor allem, wenn sie sich „bündeln“ lassen.

Am besten fragt man sich beim Lesen, was sagt das Gedicht aus, was zeigt es?

Übrigens gibt es ein Video zu diesem Thema. Es ist auf Youtube zu finden unter der Adresse:
https://youtu.be/HHI4-9O90Xs

Die zugehörige Dokumentation kann hier
Mat1683mB Gedichtaussage über Signalbündelung
heruntergeladen werden.

Der sichere Weg über die „Textsignale“

Else Lasker-Schüler

Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht – wir schlafen eng verschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

  • In der ersten Strophe zeigt das Gedicht die Sehnsucht des Lyrischen Ichs nach einer geliebten Person – am Ende einer langen Phase des Wartens, die es müde gemacht hat.
  • Für die Aussage weniger wichtig, aber als Mittel recht interessant: der Hinweis auf einen Vogel, der schon sehr früh gesungen hat, als das Lyrische Ich noch gar nicht so weit war, seinen aktuellen Wunsch zu empfinden.
  • Vielleicht von Bedeutung, dass es ein „fremder Vogel“ war. Denn das erhöht den Schmerz, wenn etwas Fremdes wahrgenommen wird, während man sehnsüchtig auf etwas Eigenes, hier die geliebte Person, wartet.

Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
und färben sich mit deiner Augen Immortellen …

  • Die zweite Strophe zeigt, dass das Lyrische Ich überall schöne Bewegung in der Natur sieht,
  • die es dann gleich in einen Zusammenhang mit der geliebten Person bringt.

Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
In Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

  • In der dritten Strophe zeigt das Gedicht einen Wunschtraum, die phantasievolle Vorstellung, wie die geliebte Person fast schon märchenhaft und voller Liebe zum Lyrischen Ich kommt.
  • Das Ganze geschieht vor einem schon fast kosmischen Hintergrund, wobei die „Monde“ hier für die realisierbare, nahe Liebe steht. Im Vergleich dazu besteht alles nur aus „verstaubten Himmelstruhen“, also Aufbewahrungsorten, die zu lange nicht genutzt worden sind.

Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

  • Die letzte Strophe zeigt den Wunsch des Lyrischen Ichs für das gemeinsame Miteinander.
  • Deutlich wird, dass es dabei animalisch und besonders hergehen soll, darum der Vergleich mit Tieren.
  • Interessant ist der Neologismus „liebesruhen“, der wohl deutlich machen soll, dass es zum einen um Liebe in all ihren Formen geht, andererseits man dabei auch zur Ruhe kommt, dann in sich und mit der geliebten Person ruhen kann.
  • Die Schlusszeile soll wohl bedeuten, dass man sich in einem geschützten Raum befindet – jenseits der normalen Welt mit all ihren Gefahren.

Das Entscheidende: die Bündelung der Signale

Ein Gedicht enthält viele Signale, die in eine bestimmte Richtung gehen:

  1. die Nacht
  2. das enge Miteinander
  3. Müdigkeit im Zusammenhang mit zu langem Wachen und Warten
  4. ein Traum
  5. bei dem man mit sich ringt
  6. die sich öffnenden Blumen als die Verheißung des Schönen
  7. Quellen als lebensspendende Elemente
  8. die Bedeutung der Augen der geliebten Person
  9. und ihre Übertragung auf Phänomene der Natur
  10. Die Bitte um Schnelligkeit beim Herankommen
  11. die Hoffnung auf eine einhüllende Liebe
  12. der Gegensatz von bisher eingestaubten Möglichkeiten, die jetzt wie Monde aufsteigen
  13. die Bereitschaft zu einer animalischen Liebesexistenz
  14. in der man etwas Seltenes ist
  15. die Vorstellung von einer Schutzzone hinter der Welt

Jetzt kommt es darauf an, die Signale zu bündeln und daraus Aussagen zu machen.
Am besten setzt man einfach den folgenden Satz fort (und zwar möglichst differenziert):

Das Gedicht zeigt

  1. die Sehnsucht nach einem geliebten Menschen
  2. die Vorfreude, die alles um das Lyrische Ich verwandelt
  3. die Erwartungen zwischen intensiver Liebe und der Chance auf ein Ruhen in sich und mit der geliebten Person
  4. und das alles in einem geschützten Raum – fern von der normalen – wohl als störend gedachten oder gar als gefährlich empfundenen – Welt.

Weiterführende Hinweise

  • Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
  • Eine Übersicht über unsere Videos auf Youtube gibt es hier.

 

Wie fasst man den Inhalt einer Dramenszene zu Aussagen zusammen? (Intentionalität)

Das Geheimnis der „Intentionalität“

Unter Intentionalität versteht man nichts anderes als die Richtungen, die sich in einem Text ergeben. Man kann auch von „Aussagen“ sprechen.

Der Begriff kommt von dem lateinischen Wort „intendere“ – und dieses Verb bedeutet soviel wie „anspannen“, aber auch „steigern, Vermehren“ oder „richten“ (zum Beispiel einen Speer).

Das heißt also: Je länger man einen Text liest, desto mehr Signale findet man, die in eine bestimmte Richtung gehen und sich somit zu „Aussagen“ bündeln lassen. Die sind gewissermaßen die „Zielrichtungen“ des Textes. Man kann ja auch sagen: „Dieses Schreiben zielt darauf ab …“

Beispiel für „Zielrichtungen“ in einer Szene

Wir nehmen wieder die schon beim Inhalt verwendete Szene I,2 in Schillers „Wilhelm Tell“.

Am besten setzt man den Satz fort (möglichst in verschiedene Richtungen):

Die Szene zeigt:

  1. wie sehr ein freier Schweizer wie Stauffacher sich von einem kaiserlichen Beamten bedroht fühlen muss,
  2. dass der Grund dafür zum einen in seinem Widerstand gegen die österreichische Unterwerfungspolitik liegt,
  3. zum anderen aber auch persönliche Motive bei einem Beamten vorliegen können
  4. dass die Frau Stauffachers sehr viel mehr Überblick, Verständnis, vor allem aber auch Mut zeigt
  5. und dass es ihr gelingt, ihren Mann zu überzeugen, sich mit anderen gegen Österreich zu verbünden,
  6. dass am Ende aber die traditionelle Rollenverteilung erhalten bleibt: Der Mann ist gewissermaßen für Verteidigung und Außenpolitik zuständig, die Frau für Familie und Haushalt, darüber hinaus auch für Soziales (gegenüber fremden Besuchern).

Weiterführende Hinweise

Diese Bündelung von Textaussagen zu „Aussagen“ kann man bei jeder beliebigen Szene selbst mal ausprobieren. Unser Trick mit der Satzeinleitung: „Die Szene zeigt …“ dürfte dabei hilfreich sein.

Wer einfach mal schauen will, wie wir selbst das gemacht haben, kann sich auf der entsprechenden Seite in unserem alphabetischen Verzeichnis zum Thema „Drama“ umschauen:

https://schnell-durchblicken3.de/index.php/uebersichten/alphabetische-uebersicht-ueber-die-infos-und-materialien/183-d-alphabetische-uebersicht

Hilfreich können ebenfalls unsere Videos auf Youtube sein: Dort gibt es eine Playliste zum Thema „Szenenanalyse“:
https://www.youtube.com/playlist?list=PLNeMBo_UQLv3JwbEhBvxNFd_BBZpwVCM0

Wer unser Beispiel „Wilhelm Tell“ noch stärker nachvollziehen möchte, den verweisen wir auf eine Seite, in der wir die Szenen ausführlich vorstellen und erklären – sogar mit mp3-Dateien:
https://www.relevantia.de/neu-mp3-dateien