Welche Reime gibt es in einem Gedicht?

Rückblick:

Wir haben eben festgestellt, dass es bei einem Gedicht reicht, wenn einfach nur die Zeilen vor dem Ende des rechten Schreibrandes umgebrochen werden.

Außerdem hatten wir schon angedeutet, dass Gedichte in der Regel sehr komprimierte Texte sind.

Zusätzlich sind Gedichte besonders „gestaltet“:

Jetzt kommt noch hinzu, dass sie auch häufig künstlerisch besonders gestaltet werden.

Dazu gehört einmal der Reim:

Was versteht man überhaupt unter „Reim“

Darunter versteht man den Gleichklang von Verszeilen ab der letzten betonten Silbe: Also zum Beispiel: Wir sind hinabgesprungen Es ist uns auch gelungen. Hier geht es um die beiden vorletzten Silben, die betont werden. Und „sprungen“ und „lungen“ gilt als gleichklingend.

Variante 1: Der Paarreim

Weil sich die Zeilen hier paarweise reimen, spricht man von „Parreim“. @@@ Und draußen erst die Sonne Das Herz zerspringt vor Sonne. Der Bauer wünscht sich Regen, Denn der bringt ihm viel Segen. @@@

Variante 2: Kreuzreim

Ebenso kann es sein, dass sie sich kreuzweise reimen: @@@ Die Luft ging durch die Felder, Die Ähren wogten sacht, Es rauschten leis die Wälder, So sternklar war die Nacht. @@@ Hier reimt sich eben „Felder“ auf „Wälder“ und „sacht“ auf „Nacht“.

Variante 3: Umarmender Reim

Dann gibt es noch den sogenannten „umarmenden Reim“, bei dem ein Paarreim in der Mitte von zwei Versen eingerahmt wird, die sich wiederum reimen. @@@ Wenn der Schnee ans Fenster fällt, Land die Abendglocke läutet, Vielen ist der Tisch bereitet Und das Haus ist wohlbestellt. @@@ Hier fällt auf, dass „läutet“ und „bereitet“ sich nicht optimal reimen, aber das ist als „unreiner“ Reim auch noch im Rahmen.

Besondere Reimvarianten in Gedichten, bsd. das Sonett

Es gibt auch Gedichtvarianten, bei denen die Reime nicht komplett so einfach in diesen Schemata beschrieben werden kann. Das ist vor allem beim sogenannten Sonett der Fall, da gibt es nämlich zwei Vierzeiler und zwei Dreizeiler – und da muss man sich zur Beschreibung was anderes einfallen lassen.

Man „nummeriert“ die Verszeilen, die ähnlich sind, dann einfach in der Reihenfolge des Alphabets durch:

Zum Beispiel- vorne haben wir immer die Reimvariante eingetragen. @@@ Georg Heym Die Stadt a: Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein b: Zerreißet vor des Mondes Untergang. b: Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang a: Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein. c: Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt, a: Unzählig Menschen schwemmen aus und ein. a: Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein c: Eintönig kommt heraus in Stille matt. d: Gebären, Tod, gewirktes Einerlei, d: Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei, d: Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei. e: Und Schein und Feuer, Fackeln rot und Brand, e: Die drohn im Weiten mit gezückter Hand e: Und scheinen hoch von dunkler Wolkenwand.

Ausblick auf weitere Herausforderungen in Gedichten

Und hier schon mal eine Vorschau auf das, was man mit einem solchen Gedicht noch anfangen kann. Keine Sorge, wir werden das in aller Ruhe und genau erklären.

 

Kann der Reim was mit dem Inhalt des Gedichtes zu tun haben?

Reim und Inhalt – gibt es Zusammenhänge?

Analyse von Gedichten – das heißt: erst mal die Form beschreiben. Beim Versmaß bzw. Rhythmus kennt man das schon: Wo ein an sich fester Rhythmus gestört wird, da ist meistens auch inhaltlich was los. Aber wie sieht das beim scheinbar so harmlosen Reim aus? Glücklicherweise hat Goethe uns zwei Gedichte hinterlassen, an denen man schön zeigen kann, dass auch Reim-Störungen was mit dem Inhalt zu tun haben.

Zum Video und zur Dokumentation

Zu diesem Thema haben wir auf Youtube ein Video eingestellt, das unter der folgenden Adresse aufgerufen werden kann:

Videolink
Die Dokumentation kann hier abgerufen werden:

Einführung und Überblick

Gedicht Nr. 1: Goethe, „Meeresstille“ – ein Reimpartner ist aus dem Takt

Johann Wolfgang Goethe

Meeresstille

01 Tiefe Stille herrscht im Wasser,
02 Ohne Regung ruht das Meer,
03 Und bekümmert sieht der Schiffer
04 Glatte Fläche ringsumher.
05 Keine Luft von keiner Seite!
06 Todesstille fürchterlich!
07 In der ungeheuern Weite
08 Reget keine Welle sich.

Goethe, „Glückliche Fahrt“ – zielgerichtetes Reim-Chaos

 

Hier noch eine kleine Ergänzung zur Dokumentation:

Bei „Glückliche Fahrt“ geht es darum, dass sich der Schiffer bei aufkommendem Wind nicht nur mal so „rühren“ soll, sondern dass er „geschwinde“ die Chance nutzt. Dementsprechend gibt es hier im Gedicht nach flauem Beginn zunehmend Reime, aber sie sind noch nicht geordnet – und das passt natürlich zu einem schnellen Aufbruch.

Johann Wolfgang Goethe

Glückliche Fahrt

01 Die Nebel zerreißen,
02 Der Himmel ist helle,
03 Und Äolus löset
04 Das ängstliche Band.
05 Es säuseln die Winde,
06 Es rührt sich der Schiffer.
07 Geschwinde! Geschwinde!
08 Es teilt sich die Welle,
09 Es naht sich die Ferne;
10 Schon seh‘ ich das Land!

Weiterführende Hinweise

  • Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
  • Eine Übersicht über unsere Videos auf Youtube gibt es hier.