Etwas lesen zu müssen ist immer eine etwas unangenehme Geschichte.
Und wenn es sich dann noch um Texte aus längst vergangenen Zeiten handelt wird es noch schwieriger.
Vor allem wenn man die Sprache zum Teil gar nicht mehr versteht.
Das ist aus einem Grund besonders schade, weil diese alten Texte zum Teil grandiose Sachen enthalten, die man aber für heutige lese erst mal frei legen muss.
Wie kann man Lust auf Literatur hinbekommen?
Darum darum haben wir uns als erstes Ziel gesetzt, bei literarischen Texten, also bei sogenannten Lektüren die Stellen zu finden, die echt was bringen.
Natürlich werden wir versuchen, diese Stellen auch möglichst gut zu präsentieren, d.h. vor allem erst einmal in moderner Sprache.
Aber wir werden dann auch das eine oder andere im Original einbauen. Das ist wie bei einem modernen Gebäude, in dem man auch ein paar schöne alte Steine einbaut.
Auf jeden Fall können auch alte Wörter sehr schön sein. Vor allem kann man damit seinen Deutschlehrer beeindrucken – und das ist ja auch kein schlechtes Ziel.
Im Folgenden wollen wir mal zeigen, dass man auch an älteren Lektüretexten Spaß haben kann.
Was genau „Spaß“ ist, lassen wir erst mal offen. Es muss nicht lustig sein – aber man soll hinterher das Gefühl haben: Es hat sich gelohnt, diese kleine Episode o.ä. kennenzulernen.
Um das Ganze so angenehm wie möglich zu machen, erzählen wir diese kleinen „Fälle“ einfach und machen daraus eine mp3-Datei. Die kann man sich „auf die Ohren legen“ – und, wenn man möchte, sich in seinem eigenen Text ein paar Stellen anstreichen.
Unser Ziel: Sich so einen alten Text zum Freund machen 🙂
Die Hör-Datei
Wer nicht so viel lesen möchte, kann sich das, was wir hier präsentieren, einfach „auf die Ohren legen“. Und wenn das für die Schule wichtig ist, kann man auch die angegebenen Stellen direkt in der eigenen Textausgabe markieren.
Beispiel: „Wilhelm Tell“ – auf jeden Fall „Apfel“
Probieren wir es am Beispiel von Schillers Wilhelm Tell mal aus.
Wer auch nur ein bisschen was von diesem Mann weiß, der weiß auch, dass dabei ein Apfel eine Rolle spielt.
Wer ein bisschen mehr weiß, der weiß auch, dass Tell auf diesen Apfel schießen musste.
Und wer genau Bescheid weiß, der weiß auch noch, dass unter dem Apfel direkt sich der Kopf seines Sohnes befand.
Wie es dazu kam, dass ein Vater auf seinen eigenen Sohn schießen muss, das wollen wir im folgenden Fall genauer erklären.
Zum Video und zur entsprechenden Dokumentation
Zu den fünf interessanten Episoden in Schillers Drama „Wilhelm Tell“ haben wir inzwischen eine Video-Dokumentation erstellt.
Fall 1: Warum ein braver Schweizer Bürger zur Axt greift
Es ist die Zeit um 1300 – und einige Gebiete der Schweiz um den Vierwaldstätter See haben im Laufe der Zeit eine gewisse Freiheit errungen. Die wird aber jetzt durch einen neuen Kaiser in Frage gestellt. Plötzlich sehen sie sich überall von kaiserlichen Beamten beherrscht, die ihre Macht immer mehr ausbauen und auch missbrauchen.
Das erlebt zum Beispiel ein einfacher Schweizer namens Baumgarten.
Er arbeitet im Wald, als seine Frau plötzlich aufgeregt zu ihm gelaufen kommt und ihm erzählt, dass ein kaiserlicher Beamter bei ihnen in der Badewanne liegt und wahrscheinlich bald noch mehr von ihr will.
Ihr Mann ist empört und geht mit der Axt direkt in sein Badezimmer und bringt den kaiserlichen Beamten um.
Jetzt muss er fliehen und damit sind wir in der ersten Szene des Dramas „Wilhelm Tell“.
Der Flüchtling kann nur über den See enfliehen – aber der Fischer weigert sich, ihn rüberzufahren, weil die Wellen bei dem stürmischen Wetter zu hoch gehen.
Im richtigen Moment kommt Wilhelm Tell vorbei – und jetzt ergibt sich ein interessantes Gespräch.
Für die, die im Text sich schon mal was anstreichen wollen, nennen wir jetzt auch eine Zeile, nämlich 139. Da wendet sich der gute Tell nämlich mahnend an den Fischer:
„Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt / vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.
Was uns sehr gut gefallen hat, war die coole Antwort des Fischers:
„Vom sicheren Port,“ also vom sicheren Hafen aus, „lässt sich’s gemächlich raten“, kann man gute Ratschläge geben.
Schöner kann man wirklich nicht sagen. Denn dieser Wilhelm Tell machte bis dahin keinen besonders guten Eindruck auf uns.
Aber jetzt zeigt er doch seine gute Seite. Wir werden noch sehen, dass man ihn häufig erst mal auf einen guten Gedanken bringen muss – aber dann geht es mit ihm voll ab.
Aber ein bisschen Bammel hat Tell schon. Jedenfalls macht er in Zeile 155 deutlich:
„Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich euch,
Aus Sturmes Nöten muss ein anderer helfen.
Doch besser ist’s, Ihr fallt in Gottes Hand
Als in der Menschen!“
Damit will er letztlich sagen: Wenn wir auf dem See umkommen, dann war das unser Schicksal und geschieht entsprechend dem Willen Gottes. Wenn man aber in die Hände der Menschen – d.h. hier, der Verfolger, fällt, passiert einem viel Schlimmeres – und dass das wohl so wäre, zeigt sich ja am Ende der Szene, als die enttäuschten Verfolger ihrem Zorn freien Lauf lassen.
Dass Tell sich keineswegs sicher ist, dass ihm die stürmische Fahrt gelingen wird, zeigt sich in 158, wo er zu einem Hirten sagt:
„Landsmann, tröstet Ihr
mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet.
Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte.“
Und mit dem Menschlichen ist eben das gemeint, was jedem Menschen eines Tages passiert, nämlich der Tod.
Aber die Sache geht gut aus: Tell schafft es. Im Theater wird so etwas immer schön gezeigt, indem einer gewissermaßen ein bisschen hoch klettert und dann von oben den Zuschauern das erzählt, was man nicht so gut zeigen kann.
Baumgarten ist gerettet – aber die anderen, die ihn nicht aufgehalten haben, werden von den Verfolgern bestraft: Die Häuser werden in Brand gesteckt und die Herdentiere alle abgeschlachtet.
Am Ende kann nur einer aufstöhnen: „“Wann wird der Retter kommen diesem Lande?“ (182)
Eine interessante Szene ist die erste im II. Akt. Da kommt nämlich der junge Adlige Rudenz zu seinem alten Onkel, dem Freiherrn Attinghausen.
Die Hör-Datei
Wer nicht so viel lesen möchte, kann sich das, was wir hier präsentieren, einfach „auf die Ohren legen“. Und wenn das für die Schule wichtig ist, kann man auch die angegebenen Stellen direkt in der eigenen Textausgabe markieren.
Es zeigt sich dann schnell, dass das kein besonders erfreulicher Verwandtenbesuch wird, denn der junge Mann betrachtet es eher als Pflichtveranstaltung und will schnell weg.
Für den freundlichen Umgang des alten Freiherrn mit seinen Knechten hat er auch nicht viel Verständnis.
Und dann geht es vor allem um die Frage, wie die Adligen der Schweiz sich zu dieser österreichischen Gewaltherrschaft stellen sollen.
Der Freiherr hatte eine ganz klare Meinung. es sieht in anderen Gebieten der Schweiz, dass das Leben schon unerträglich geworden ist, und möchte verhindern, dass das Ganze auch in seiner Heimat losgeht.
Rudenz ist zum einen der Meinung, dass man unter Österreichs Herrschaft doch besser und sicherer leben würde.
Sehnsucht nach Ruhm und Anerkennung
Aber dann lässt er die Katze aus dem Sack, nämlich sein eigentliches Problem (824):
Ja, ich verberg es nicht – in tiefer Seele
Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns
Den Baurenadel schelten – Nicht ertrag ichs,
Indes die edle Jugend rings umher
Sich Ehre sammelt unter Habsburgs Fahnen,
Auf meinem Erb hier müßig stillzuliegen,
Und bei gemeinem Tagewerk den Lenz
Des Lebens zu verlieren – Anderswo
Geschehen Taten, eine Welt des Ruhms
Bewegt sich glänzend jenseits dieser Berge – Mir rosten in der Halle Helm und Schild …“
Die Warnung des Onkels
Sein Onkel aber warnt ihn (849):
—
„Die fremde falsche Welt ist nicht für dich,
Dort an dem stolzen Kaiserhof bleibst du
Dir ewig fremd mit deinem treuen Herzen!
Die Welt, sie fodert andre Tugenden,
Als du in diesen Tälern dir erworben.
– Geh hin, verkaufe deine freie Seele,
Nimm Land zu Lehen, werd ein Fürstenknecht,
Da du ein Selbstherr sein kannst und ein Fürst
Auf deinem eignen Erb und freien Boden.
– Geh hin, verkaufe deine freie Seele,
Nimm Land zu Lehen, werd ein Fürstenknecht …“
Dann noch der zweite Grund: die Liebe
Besonders warnt er seinen Neffen aber, als deutlich wird, dass dieser vor allem aus Liebe zu Berta von Bruneck auf der Seite der Österreicher sein will (935):
—
„– Verbirg dich, wie du willst. Das Fräulein ists,
Berta von Bruneck, die zur Herrenburg
Dich zieht, dich fesselt an des Kaisers Dienst.
Das Ritterfräulein willst du dir erwerben
Mit deinem Abfall von dem Land – Betrüg dich nicht!
Dich anzulocken zeigt man dir die Braut,
Doch deiner Unschuld ist sie nicht beschieden.“
Der Schluss des Gesprächs mit Ausblick
Am Ende ist alles umsonst. Rudenz wendet sich ziemlich empört ab und erlebt dann später sein blaues Wunder, als er endlich mal mit Berta allein ist.
Die findet es nämlich unmöglich, dass er seine Heimat im Stich lässt. Außerdem glaubt sie, dass sie selbst bald zwangsverheiratet wird, damit man an ihre Güter kommt.
Das führt dann dazu, dass Rudenz mit ihr zusammen für die Schweizer kämpfen will, um dort in Freiheit leben zu können.
Wilhelm Tells Frau – deutlich vorausschauender als ihr Mann
Im dritten Akt kommt es dann zum großen Showdown zwischen Wilhelm Tell und den kaiserlichen Beamten (Vogt) Gessler.
Die Hör-Datei
Wer nicht so viel lesen möchte, kann sich das, was wir hier präsentieren, einfach „auf die Ohren legen“. Und wenn das für die Schule wichtig ist, kann man auch die angegebenen Stellen direkt in der eigenen Textausgabe markieren.
Interessant ist, dass Schiller eine Szene eingefügt hat, in der Tells Frau nicht nur ihren Mann warnt, soll ihn richtig ein bisschen psychologisch aufklärt.
Tell erzählt ihr nämlich, dass er vor einiger Zeit schon mal Stress mit dem Beamten hatte. Der hatte ihn vorher unmöglich behandelt. Und jetzt hätten sie sich plötzlich im Gebirge auf einem schmalen Pfad am Berg gegenüber gestanden und der Beamte habe eine wahnsinnige Angst vor Wilhelm Tell gehabt. Er hat wohl befürchtet, dass Tell die Gelegenheit nutzt, ihn entweder mit der Armbrust zu erschießen oder mit einem Fußtritt in den Abgrund zu befördern.
Wilhelm Tell hat das nicht getan, weil das gar nicht seine Art ist.
Er glaubt aber jetzt, dass dieser kaiserliche Beamte ihm jetzt dankbar wäre dafür, dass er nichts von ihm befürchten muss.
Da zeigt sich seine Frau aber sehr viel klüger sie sagt ihm nämlich:
Gerade weil er vor dir gezittert hat, wird er jetzt eine Gelegenheit nutzen, wo er sich an dir rächen kann.
Wilhelm Tell reagiert nur damit, dass er sagt, er würde dem Vogt eben aus dem Weg gehen.
Der Eklat vor der Stange mit dem Hut
Es zeigt sich dann schnell, dass das nicht gut möglich ist. Wilhelm Tell geht nämlich mit seinem Sohn, der mitgenommen hat, direkt an dem Hut vorbei, den der Beamte hat aufstellen lassen.
Er will damit nämlich die Schweizer zwingen, ihn auch zu grüßen, wenn er gar nicht da ist.
Das ist natürlich eine absolute Herabwürdigung, wenn die vor einem Kleidungsstück sich verbeugen müssen.
Typisch für Till ist auch, dass er anscheinend nicht viel drüber nachdenkt, sondern nur zu seinem Sohn sagt: Komm, lass uns schnell vorbeigehen.
Daraus wird natürlich nichts, denn der Beamte hat zwei Soldaten hingestellt, die das ganze beobachten sollen. Sie verhaften dann auch den Till, es kommt zu einem kleinen Auflauf, die Soldaten fühlen sich bedroht und schreien um Hilfe.
Der Vogt erscheint und sieht die Chance der Rache
Und in diesem Moment erscheint jetzt der Vogt Gessler. Und man merkt schnell, dass jetzt genau das eintritt, was Tells Frau befürchtet hat. Der Vogt überlegt ein bisschen und dann kommt er auf den teuflischen Gedanken, Tells Kunst als Armbrustschütze mal demonstrieren zu lassen.
Dummerweise hat sein Sohn auch kurz vorher noch erzählt, dass Tell auf große Entfernung einen Apfel durch schießen kann.
Das bringt den Vogt dann auf die Idee, diesen Apfel auf dem Kopf des Jungen zu platzieren und der Vater soll drauf schießen.
Es beginnt mit der scheinheiligen Frage:
„Ist das dein Knabe, Tell?
TELL.
Ja, lieber Herr.
GESSLER.
Hast du der Kinder mehr?
TELL.
Zwei Knaben, Herr.
GESSLER.
Und welcher ists, den du am meisten liebst?TELL.
Herr, beide sind sie mir gleich liebe Kinder.
GESSLER.
Nun, Tell! weil du den Apfel triffst vom Baume
Auf hundert Schritte, so wirst du deine Kunst
Vor mir bewähren müssen – Nimm die Armbrust –
Du hast sie gleich zur Hand – und mach dich fertig,
Einen Apfel von des Knaben Kopf zu schießen –
Doch will ich raten, ziele gut, daß du
Den Apfel treffest auf den ersten Schuß,
Denn fehlst du ihn, so ist dein Kopf verloren.“
Tell ist völlig verzweifelt und sagt schließlich:
„Ich soll
Mit meiner Armbrust auf das liebe Haupt
Des eignen Kindes zielen – Eher sterb ich!“
Und Gessler sogar noch mit einer Verschärfung:
Du schießest oder stirbst mit deinem Knaben.“
—
Hier wird also ein Kind mit in die Verantwortung genommen.
Alle Bitten bleiben umsonst – Tell ist während des Gesprächs sogar am Zittern.
Glücklicherweise wird Tell ein bisschen abgelenkt, weil der junge Rudenz das nicht mit ansehen möchte. Und während er sich mit dem Vogt auseinandersetzt, sehr mutig, schafft Tell tatsächlich den gefährlichen Schuss.
Nach dem erfolgreichen Schuss die zweite Gemeinheit des Vogts
Alle jubeln, doch der Vogt legt noch einmal nach, indem er fragt, was Tell denn mit dem zweiten Pfeil wollte, den er auch außer im Köcher genommen hat.
Und weil der Vogt zugesichert hat, dass es ihm nicht ans Leben gehen soll, sagt Tell ihm auch die Wahrheit:
Er hätte mit diesem Pfeil den Vogt erschossen, wenn er mit dem ersten Pfeil seinen Sohn getroffen hätte.
Das nutzt jetzt der Vogt, um Tells Leben zwar zu schonen, ihn aber zu irgendeinem Kerker zu bringen, wo er ihn gewissermaßen verrotten lassen kann. Damit ist er dann keine Gefahr mehr für ihn.
Man kann verstehen, dass am Ende die umstehenden Schweizer verzweifelt sind, weil sie mit Tells Gefangennahme einen sehr wichtigen Mann für ihre Aufstandspläne verlieren.
Was hat das mit uns zu tun?
Die Apfelschuss-Szene ist ein Beispiel dafür, wie abgrundtief böse Menschen sein können, die Macht haben. Das muss kein Regierungsbeamter sein, es kann einfach ein Mensch sein, der stärker ist als der andere.
Und wenn dann niemand eingreift oder eingreifen kann wie hier, dann können Menschen die schlimmsten Dinge erleben.
Wir werden gleich im nächsten Fall sehen, dass der Vogt allerdings hier den Bogen überspannt hat, was ihn selbst das Leben kostet.
Man stelle sich das vor: Da hat Schiller als Dichter diesen Wilhelm Tell zu seinem Thema gemacht und dann gehört da eben auch ein Mord dazu. Denn der Held des Dramas hat sich ja vorgenommen, den Mann zu bestrafen, der ihn gezwungen hat, auf sein eigenes Kind zu schießen.
Es ist dabei dem Kind glücklicherweise nichts passiert, aber dieser erzwungene Schuss hat doch seine Spuren hinterlassen.
Zu Beginn der ersten Szene des vierten Aktes ist Wilhelm Tell denn auch auf dem Weg zu einem „hohlen“, also engen Gasse, durch die der Vogt kommen muss.
Wer sich jetzt erinnert, dass er ja vor kurzem noch ins Gefängnis abgeführt werden sollte, den können wir beruhigen. Der Vogt nahm dummerweise den Weg über den Vierwaldstättersee und es kam wieder ein Sturm – und wenn man um sein Leben fürchtet, dann nimmt man schon mal dem Gefangenen die Fesseln ab und lässt ihn steuern – denn das kann Wilhelm Tell ja sehr gut.
Was er aber dann auch noch gut konnte, das Boot so nah ans Ufer ranzusteuern, dass er es im Sprung erreichen konnte – seine Armbrust hatte er mitgenommen.
Damit war alles perfekt für das geplante Attentat.
Die Hör-Datei
Wer nicht so viel lesen möchte, kann sich das, was wir hier präsentieren, einfach „auf die Ohren legen“. Und wenn das für die Schule wichtig ist, kann man auch die angegebenen Stellen direkt in der eigenen Textausgabe markieren.
Tells langer Monolog als Begründung für den Anschlag
Aber das ist natürlich nichts für die Bühne – außerdem hat Schiller ja eben das Problem, dass so ein tödlicher Schuss aus dem Hinterhalt doch schon gut begründet werden sollte.
Und das geschieht dann in der dritten Szene des IV. Aktes. Dort tritt Tell auf mit seiner Armbrust und legt so richtig los (2561):
„Durch diese hohle Gasse muss er kommen,
Es führt kein andrer Weg nach Küssnacht – Hier
Vollend ichs – Die Gelegenheit ist günstig.
(…)
Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt,
Fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen.
Ich lebte still und harmlos – Das Geschoss
War auf des Waldes Tiere nur gerichtet,
Meine Gedanken waren rein von Mord –
Du hast aus meinem Frieden mich heraus
Geschreckt, in gärend Drachengift hast du
Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt,
Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt –
Wer sich des Kindes Haupt zum Ziele setzte,
Der kann auch treffen in das Herz des Feinds.
—
2630ff
Am wilden Weg sitzt er mit Mordgedanken,
Des Feindes Leben ists, worauf er lauert.
– Und doch an euch nur denkt er, lieben Kinder,
Auch jetzt – euch zu verteidgen, eure holde Unschuld
Zu schützen vor der Rache des Tyrannen,
Will er zum Morde jetzt den Bogen spannen!“
—
Und etwas später kommt noch ein Satz, der zum Sprichwort geworden ist (2683):
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben,
Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.“
Damit ist Schiller schon mal das Problem mit dem tödlichen Attentat ein bisschen los, indem er Wilhelm Tell seine ganzen Seelenqualen schildern lässt.
Wichtig ist aber natürlich die Stelle, wo er deutlich macht, dass es nicht nur um rückwärts gerichtete Bestrafung geht, sondern auch den Schutz anderer Menschen vor diesem „Wüterich“ – wir werden dieses Wort gleich noch brauchen. Es bedeutet so viel, dass jemand vor Wut ganz außer sich gerät und dann zu allem fähig ist.
Dazu noch eine Frau mit Kindern in Lebensgefahr
Als der Vogt dann kommt, baut Schiller noch eine zweite Sache ein, die Tells Aktion in einem besseren Licht erscheinen lässt.
Denn als der Vogt auftaucht in diesem Holweg, stellt sich eine Frau mit ihren Kindern in den Weg, deren Mann schon lange wohl ziemlich unschuldig im Gefängnis sitzt.
Der Vogt hat aber nicht die geringste Lust, sich mit dem Fall zu beschäftigen und droht schließlich sogar, die Frau mit ihren Kindern niederzureiten. Genau in dem Zusammenhang trifft ihn dann der Pfeil.
Mord gleich Mord?
Als Tell dann nach Hause kommt, ist seine Frau natürlich zunächst einmal sehr froh, ihren Mann frei und gesund wieder bei sich zu sehen. Sie ist aber auch ein bisschen aufgeregt, weil kurz vorher ein etwas seltsamer Mönch aufgetaucht ist, von dem sie sich fast bedroht fühlt.
Wilhelm Tell erkennt schnell, dass das kein richtiger Mönch ist. Und der Besucher gibt dann auch zu, dass er der Mann ist, der kurz vorher den Kaiser ermordet hat.
Als Grund dafür gibt er an, dass der Kaiser, sein Verwandter, ihn um sein Erbe betrügen wollte. Schließlich habe er keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als mit einigen anderen zusammen den Kaiser in eine Falle zu locken und dann zu töten.
Jetzt kommt es zum entscheidenden Punkt, der Kaisermörder erklärt nämlich (3173)
„Bei Euch hofft ich Barmherzigkeit zu finden,
Auch Ihr nahmt Rach an Euerm Feind.“
Tell ist dagegen entsetzt, ja sogar empört:
Unglücklicher!
Darfst du der Ehrsucht blutge Schuld vermengen
Mit der gerechten NotwehreinesVaters?
Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt?
Des Herdes Heiligtum beschützt? das Schrecklichste,
Das Letzte von den Deinen abgewehrt?
– Zum Himmel heb ich meine reinen Hände,
Verfluche dich und deine Tat – Gerächt
Hab ich die heilige Natur, die du Geschändet – Nichts teil ich mit dir – Gemordet
Hast du, ich hab mein Teuerstes verteidigt.
—
Man merkt hier deutlich, wie wichtig es dem Tell ist, sich von diesem Mann und seiner Tat abzugrenzen.
Schließlich hat er aber doch ein bisschen Mitleid mit dem Mörder und gibt ihm den Rat, zum Papst zu gehen und mit ihm über seine Schuld und Vergebung zu sprechen.
Zusammenfassung: Dreifache „Entschuldigung“
Insgesamt kann man hier sehr gut sehen, wie eben ein an sich friedlicher Mensch in eine so extreme Situation gebracht wird, dass er schließlich sogar seinen Todfeind erschießt.
Man sieht aber auch, wie viel Mühe Schiller sich gegeben hat, ganz deutlich zu machen, dass er nicht irgendwelche Gewalttaten befürwortet.
Deshalb lässt er den Wilhelm Tell zunächst eine lange Rede halten, in der er sich das selbst noch mal klar macht.
Dann hat er die Frau mit ihren Kindern eingefügt, die ja durch Tells Schuss vor einer neuen Untat des Vogtes bewahrt worden sind.
Und schließlich wird in der Szene mit dem Kaisermörder noch einmal deutlich gemacht, dass es sehr unterschiedliche Gründe und Motive für eine solche tödliche Aktion geben kann.
Am Ende des Dramas wird aber auf jeden Fall deutlich, wie begeistert die Schweizer sind, dass sie durch Tell von solch einer Gewaltherrschaft befreit worden sind. Tell war sicher kein normaler Anführer, aber er war immer zur Stelle, wenn er gebraucht wurde – und im entscheidenden Moment hat er das Attentat auf den Vogt sogar ganz für sich alleine entschieden und durchgeführt.
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